Lagerfeueridyll

 

Immer wieder ist es ein besonderes Erlebnis, früh morgens in den gerade bläuenden Tag hinein von einer guten Party nach Hause zu kommen. Wahrscheinlich hat man etwas getrunken in all den Stunden, vor allem aber sich gut unterhalten und die Zeit nicht an sich vorbeirauschen gemerkt. Vielleicht hat man alte Freunde gespro- chen und neue dazu gewonnen. Der Kreis wird erlesen gewesen sein, nicht zu groß, sondern eine ausgesuchte Mischung.

Herr Nipp hatte sich mit zwei Freunden ein Taxi geteilt, die Rückfahrt war relativ schweigsam verlaufen, wenn man von den meist unpassenden Sprüchen des Taxifahrers absah, man hatte den ganzen Abend, die ganze Nacht geredet, hatte über die Vergan- genheit, gemeinsame Bekannte und die üblichen Gott-und-die Welt-Themen gesprochen, hatte gezeigt, dass man aufmerksam in der Welt steht, alles am Rande gekratzt, ohne den Anspruch ernsthafter Vertiefung. Man wusste schließlich um die Standpunkte der jeweils anderen. Eines der wichtigsten Gesetze für Ausgeglichenheit und gute Stimmung auf solchen Festen am Lagerfeuer ist die Wahrung der Integrität, die Wahrung der besonderen Distanz, die Unverletzlichkeit gewährt, ohne jedoch distanziert zu sein oder sich vom anderen absetzen zu wollen.

Herr Nipp hatte Neuigkeiten über ein Geschwisterteil erfahren, die gar nicht so neu wahren, sich aus fremdem Mund nur anders anhörten, er hatte andererseits auch über die Verwandtschaft des Gegenübers erzählt, ein gegenseitiges Geben und Nehmen, hatte die skeptischen Blicke einer anderen Frau über sich ergehen lassen, die es nicht verstehen konnte, warum er als relativ alter Mann eingeladen gewesen war.

Vor allem aber hatte er sich über den einladenden Freund gefreut, der strahlend immer wieder kam, dem das Glück ins Gesicht eingebrannt schien. Nicht aufgesetzt, sondern ehrlich; alle waren schließlich gekommen. Einige hatten sogar die Gitarre gezückt, gesungen, mehrstimmig, mit Freude.

Das einzig Schlechte, das sich am nächsten Tage rächen sollte, war die Tatsache, dass es gegen drei Uhr noch einmal eine große Fuhre Würstchen gegeben hatte, bestens gegrillt, immer drei pro Brötchen. Löwensenf, extra scharf.

Am nächsten Tag wachte er mit einem unglaublichen Völlegefühl auf und wusste, er würde mindestens eine Stunde auf dem Crosstrainer verbringen müssen, um die Kalorien abzutrainieren.

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421