linguistic turn

Eines der beunruhigendsten Dokumente der deutschen Sprache überhaupt.

FAZ

Kaum ein zweites Buch der österreichischen Literatur war derart folgenreich für die nachfolgende Autorenschaft wie dieses. In den 1960er Jahren erarbeitete er seinen grundlegenden und folgenreichen Prosatext „die verbesserung von mitteleuropa, roman“ Roman – in konsequenter Kleinschreibung –  der zunächst in Folgen in der österreichischen Literaturzeitschrift manuskripte erschien und schließlich als Buch (Rowohlt 1969, Neuausgabe 1985) veröffentlicht wurde. In der Auseinandersetzung u. a. mit Ludwig Wittgenstein setzt sich der Text in vielfältiger Weise mit der Allmacht der Sprache auseinander und inwiefern durch diese das Bewusstsein manipuliert wird; das Paradox dieser Auseinandersetzung ist, dass sie mit dem Mittel der Sprache geführt wird. Im Anhang *appendix A: der bio-adapter* entwirft Wiener das Konzept eines „Glücksanzugs“, einer Maschine, die zusehends Körper und Geist des darin Eingeschlossenen übernimmt – was man als einen frühen Entwurf des „Cyberspace“ betrachten kann. Des Weiteren basiert der Text auf Wieners Beschäftigung mit der theoretischen Kybernetik, insbesondere der numerischen Methode. Dieser Dekonstruktionsroman imitiert, ironisiert und zerstört das Genre „Roman des 19. Jahrhunderts“. Aus Ansätzen und Bruchstücken linguistischer (Stichwort „linguistic turn“ in den Kulturwissenschaften) und kybernetischer Denkexperimente entwickelt Wiener ein Modell des durch die Kybernetik bewusstseinsveränderten Menschen. Im Besonderen greift Wiener auch auf psychologische Experimentalmethoden des späten 19./frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere der Selbstbeobachtung, zurück, wie sie der Behaviorismus gewissermaßen „verboten“ hatte, in der Absicht, damit bestimmte Aspekte der Funktionsweise der menschlichen Psyche zu verstehen. Damit hat Wiener einige sehr eigenständige Beiträge zum Thema Künstliche Intelligenz geliefert.

„der bio–adapter bietet in seinen grundzuegen die m. e. erste diskutable skizze einer vollstaendigen loesung aller welt–probleme.“ So beginnt verheissungsvoll Oswald Wieners Grundlegung für ein Gerät, in dem sich Sprache mit Kybernetik verbindet. Der Bio–Adapter setzt eine Entwicklung in Gang, die, so schliesst Wieners Text, „freilich voellig von der geisteskraft, vom mut und von der selbstaendigkeit des subjekts abhaengig“ ist. Oswald Wieners „die verbesserung von mitteleuropa, roman“ ist ein Monument der österreichischen Avantgarde, um das sich Mythen ebenso ranken, wie ihm anhaltender Nachruhm sicher ist. Der luzide Ideenreichtum und die anarchische Kraft beeindrucken bis heute. Zuerst in der Literaturzeitschrift „manuskripte“ erschienen und 1969 dann in Buchform, bricht dieser „roman“ mit allen literarischen Konventionen. Es ist ein monomanes, witziges und vor allem prophetisches Buch, das lange vor allen weiteren technischen Entwicklungen ein Bild des Cyberspace und der Virtualität entwirft. Die Zurichtung des Individuums erfolgt in der kritischen Anwendung der Kybernetik durch Wiener nicht nur durch die Sprache, sondern zunehmend auch durch technische Systeme. Im Konzept des „bio-adapters“ entfaltet Wiener das Glücksversprechen eines Glücksanzugs in der Fusion von Mensch und Maschine, das er aber zugleich unterläuft; es geht vor allem um die Abkehr von der Auffassung, die Sprache sei die größte und wichtigste menschliche Erfindung überhaupt, die Grundlage menschlicher Kreativität.

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die verbesserung von mitteleuropa, Roman von Oswald Wiener, Rowohlt 1969