Die übliche Frage

Egal auf welcher Ausstellung oder in welchem Atelier man sich befindet und den Gesprächen zwischen Besuchern und Künstler zuhört, irgendwann wird die größe Unverschämtheit kommen, die vorstellbar ist: „Können sie davon eigentlich leben?“

Da ist es sogar noch erträglicher, wenn der Künstler mit bekannten Größen verglichen wird. Jeder weiß, dass 98 Prozent nicht von ihrer Kunst leben können, sie gebrauchen einen Brotberuf oder leben von Hartz VI. Bei einem Durchschnittseinkommen von 300? ist alles andere Illusion, die restlichen zwei Prozent könnten tatsächlich nur von der Kunst leben, auch sie haben allerdings einen festen Brotberuf und üben eine Funktion als Professor aus. Machen wir uns nichts vor, um frei Kunst machen zu können, gebraucht man irgendeinen finanziellen Rückhalt. Entweder eine Anstellung, ein Geschäft, eine Firma, Erbschaft oder einen sol- venten Lebensgefährten. Halt, es soll außerdem auch noch wirklich freie Künstler geben…Aber bitte schauen Sie doch mal genau hin…

Herr Nipp belauschte solche Gespräche liebend gerne, erfuhr man doch vor allem etwas über die Souveränität des Künstlers.

„Kommen Sie vom Finanzamt?“ ist eine recht gute Gegenfrage, aber unbefriedigend, weil sofort mit Fragewiederholung zu rechnen ist. Besser ist da schon die ehrliche Antwort, man habe tatsächlich außerdem noch einen Brotberuf. Eine Spezifizierung muss hier gar nicht erfolgen. Letztens hörte Herr Nipp nach dem Zugeben des Künstlers eine schöne Spiegelung, der Atelierinhaber fragte die Frau des Fragers ganz unvermittelt:

„Können Sie eigentlich von ihrer Hausarbeit leben oder schlafen sie auch mit Ihrem Mann?“

Das empörte Paar verließ umgehend das Atelier…

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

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