Palmenstrand

Wasser ist wohl unbestritten das Lebenselexier schlechthin. Nun ist Deutschland normalerweise auch reichlich damit gesegnet, abgesehen von gewissen Dürreperioden, die allerdings vor allem in das frühe Frühjahr fallen, kann man sich über ein Mangel an diesem Urelement nun wirklich nicht beklagen. Das mag im Süden der Republik manchmal noch ganz anders aussehen. So haben die Bayern seit Jahrzehnten ihre großen Ferien in den gefühlten Herbst verpflanzt und sind recht gut damit gefahren. Kleine Länder wie Nordrheinwestfalen müssen dagegen ihre Ferientermine immer wieder verschieben und kommen so in den fragwürdigen Genuss, mal im Frühsommer einige Wochen marodierenden Schülerhorden, die sich bis mittags im Bett lümmeln und dann die die Fußgängerzonen bevölkern, zu ertragen, mal im Frühherbst. Problematisch wird es, wenn die gesamten Ferien dann auch noch ins Wasser fallen, weil der gute Petrus der Meinung ist, dass alles, was die Wüstenländer gerade gut gebrauchen könnten, hier abgeladen werden soll. Und zwar alles, was auch auf Jahre hätte verteilt werden können, in wenigen Wochen.

Herr Nipp hatte sich zunächst natürlich über diesen Segen ge- freut, denn der Boden war vorher über die Maßen ausgetrocknet worden, bedeckter Himmel einerseits und dazu immer starker Wind ohne Niederschlag. Die Dicken Bohnen waren dadurch in kürzester Zeit notreif geworden. Jetzt aber nahm die Nieder- schlagsmenge inzwischen Maße an, die niemand gut finden konnte. Das Gemüsebeet glich inzwischen einen Hochmoor und durch den Garten konnte er nur noch mit Stiefeln waten. Inzwischen war die Situation bedenklich, denn der Mutterboden unter dem Rasen drohte weggeschwemmt zu werden. Das Nachbarhaus hatte eine bedenkliche Neigung angenommen und würde wohl in den nächsten Stunden versinken…

Die Flüsse stiegen wieder bedenklich an, daran zu erkennen, dass wieder Boote auf der oberen Ruhr sogar in den renaturierten Gebieten fuhren. Dass abgerissene Baumstämme sich tummelten und die Brückendurchlässe verstopften, selbst die Enten Mühe hatten, gegen den Strom zu schwimmen.

Erstaunlich zumute allerdings war ihm, als Herr Nipp auf einem seiner Spaziergänge an der Ruhr eine Palme entdeckte, die ein völlig anderes Wettergefühl vermittelte. So watete er schnell nach Hause und holte sich ein Badetuch, Sonnenmilch und eine verdunkelte Brille. Wo eine Palme war, konnte die Sonne nicht weit sein.

 

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421