Wie Tote liegen aufgebahrt im Tag die Tage

 

 

Wenn mal der Spiegel, der Dich täglich zeigt,

Von früh bis abend in die Leere schweigt,

Und alle Fenster ohne Dich ans Licht hintreten,

Und Deine Schritte mir im Ohr verwehten,

Und keine Tür den Händedruck von Dir mehr spürt,

Der sie behutsam in den Angeln rührt, –

Werd‘ ich Dich suchen dann mit Aug‘ und Ohr,

Nichts sehen mehr, als nur des Hauses festerstarrtes Tor,

Nichts hören mehr, als Deiner Rede längst verschollenen Rest.

Dann wird Dein Traumbild nachts dem nächsten Tag ein Fest,

Dann leb‘ ich nur wie hohle Muscheln hohl im Raum,

Wie ein verlassenes Vogelnest zerstört im kahlen Baum.

Dann fällt der Zunge schwer das kleinste Wort.

Sie fragt ins Dunkel, glaubend, Du stehst dunkel dort,

Und niemals kommt von Dir ein Laut auf Ruf und Frage, –

Wie Tote liegen aufgebahrt im Tag die Tage.

 

 

 

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Die von Farben und Tönen bestimmte ungebundene und rhythmische Lyrik machte Dauthendey zu einem der bedeutendsten Vertreter des Impressionismus in Deutschland. Seine Werke sind bestimmt von der Liebe zur Natur und deren Ästhetik. Mit virtuoser Sprachbegabung setzte er seine Sensibilität für sinnenhafte Eindrücke in impressionistische Wortkunstwerke um. Bereits seine erste Gedichtsammlung von 1893 mit dem Titel „Ultra-Violett“ lässt die Ansätze einer impressionistischen Bildkraft erkennen, die dichterisch gestaltete Wahrnehmung von Farben, Düften, Tönen und Stimmungen offenbart. In seiner späteren Natur- und Liebenslyrik steigerte sich dies bis zur Verherrlichung des Sinnenhaften und Erotischen und traf sich mit seiner Philosophie, die das Leben und die Welt als Fest, als panpsychische „Weltfestlichkeit“ begriff. Rilke bezeichnete ihn als einen „unserer sinnlichsten Dichter, in einem fast östlichen Begriffe“.

 Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.