KASCHUBISCHES WEIHNACHTSLIED

 

Wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,

wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!

Sieh, du hättest nicht auf Heu gelegen,

wärst auf Daunen weich gebettet worden.

 

Nimmer wärst du in den Stall gekommen,

dicht am Ofen stünde warm dein Bettchen,

der Herr Pfarrer käme selbst gelaufen,

dich und deine Mutter zu verehren.

 

Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!

Müßtest eine Schaffellmütze tragen,

blauen Mantel von kaschubischem Tuche,

pelzgefüttert und mit Bänderschleifen.

 

Hätten dir den eig’nen Gurt gegeben,

rote Schuhchen für die kleinen Füße,

fest und blank mit Nägelchen beschlagen!

Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!

 

Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!

Früh am Morgen weißes Brot mit Honig,

frische Butter, wunderweiches Schmorfleisch,

mittags Gerstengrütze, gelbe Tunke,

 

Gänsefleisch und Kuttelfleck mit Ingwer,

fette Wurst und gold’nen Eierkuchen,

Krug um Krug das starke Bier aus Putzig!

Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!

 

Und wie wir das Herz dir schenken wollten!

Sieh, wir wären alle fromm geworden,

alle Knie würden sich dir beugen,

alle Füße Himmelwege gehen.

 

Niemals würde eine Scheune brennen,

sonntags nie ein trunk’ner Schädel bluten, —

wärst du, Kindchen, im Kaschubenlande,

wärst du, Kindchen, doch bei uns geboren!

 

 

 

Werner Bergengruen schrieb in der Nachfolge der großen Autoren des 19. Jahrhunderts Romane, Erzählungen, Gedichte und Übersetzungen, die sich durch geschliffene Sprache und klassischen, spannungsreichen Aufbau auszeichnen. Er war ein Erzähler, der sein christlich-humanistisches Weltbild in große Fabeln und Parabeln verpackte und dabei sowohl in weit ausgesponnenen Romanen (wie z. B. Am Himmel wie auf Erden) wie auch in – teilweise durch Rahmenerzählungen zusammengehaltenen – kleinen, oft anekdotenhaften Formen brillierte. Die novellistischen Erzählungen machen einen Schwerpunkt in Bergengruens Werk aus.

In der deutschen Nachkriegszeit galt er als Beispiel eines Autors der Inneren Emigration während des NS-Regimes. Er war einer der bekanntesten und erfolgreichsten Autoren der frühen Bundesrepublik. Das Christentum und der abendländische Humanismus bestimmten Bergengruens gesamtes Werk durchziehende Weltanschauung. Seine Novellen handeln von der Bindung des Menschen an eine höhere Ordnung und vom Wirken göttlicher Vorsehung, gehalten in klassischer Erzählform, in der eine (im Sinne Goethes) „unerhörte Begebenheit“ als zeitloser Handlungsprototyp thematisiert wird.

Sein bekanntestes Novellenwerk Die drei Falken (1936) lehnt sich in seinen Strukturen an Boccaccios Falkennovelle im Decamerone (neunte Novelle des fünften Tages) an. So ist auch bei Bergengruen der Falkenbesitzer verarmt und alleinstehend, und er trennt sich vom materiellen und ideologischen Besitz (Boccaccios Protagonist für die gastfreundschaftliche Höflichkeit, Bergengruens durch die hohe Achtung vor dem Tier). Dabei spielt bei Bergengruen der Falke nicht die Rolle eines Phallussymbols / eines/r Geliebten, wie es in mittelalterlicher Literatur – eben auch bei Boccaccio – üblich war.

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

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