„Die Revolution ist da“

 

„Die Revolution ist da, und die Geschichte spricht. Wer das nicht sieht, ist schwachsinnig. Nie wird der Individualismus in der alten Form, nie der alte ehrliche Sozialismus wiederkehren.“

Gottfried Benn

 

ADN-ZB/Archiv, Berlin: Gottfried Benn legt im Namen der Dichter-Akademie einen Kranz am Grabe des Schriftstellers Arno Holz auf dem Friedhof an der Heerstrasse nieder. (Aufn.: 1933)

Die Frage, warum Gottfried Benn öffentlich Partei für den nationalsozialistischen Staat ergriff, wird bis heute von einigen mit einem „Missverständnis“ erklärt. Diese Sichtweise legt auch Benn selbst in seiner Nachkriegs-Autobiographie Doppelleben nahe, wenn er dem „jungen Klaus Mann“ fast schon hellseherische Fähigkeiten attestiert, die er selbst zu diesem Zeitpunkt naturgemäß nicht habe besitzen können:

„[…] Die Lage im verworrenen Frühjahr 1933 war nun so, daß nach dem Fortgang der berühmtesten Träger der Abteilung hier ein knappes halbes Dutzend Mitglieder zurückblieb, die sich dem Ansturm gewisser völkischer und volkhaft ausgerichteter Autoren gegenübersahen, die die alte Gruppe eliminieren und alle kulturellen Positionen besetzen wollten. Uns hielten sie alle mehr oder weniger für Kulturbolschewisten. Die Vorgänge spielten sich für uns im Dunkeln ab, niemand wußte, woran er war, und es standen nicht nur ideelle Fragen zur Debatte, sondern auch materielle. Nicht für mich, ich habe nie einen Pfennig aus irgendeinem dieser Fonds bezogen oder irgendwelche anderen Vorteile gehabt. […]“

In seiner Antwort an die literarischen Emigranten reagierte er auf private Vorhaltungen Klaus Manns öffentlich in den Massenmedien (Zeitungen und Rundfunk) und rechtfertigte seinen Verbleib im nationalsozialistischen Deutschland von 1933. Er befand sich, wie er im Vorwort zu Zwei Rundfunkreden. Der neue Staat und die Intellektuellen. Antwort an die literarischen Emigranten 1933 feststellt, am Ende „einer fünfzehnjährigen Entwicklung“ und mithin auf der Höhe des Zeitgeistes.

„Da sitzen Sie also in Ihren Badeorten und stellen uns zur Rede, weil wir mitarbeiten am Neubau eines Staates, dessen Glaube einzig, dessen Ernst erschütternd, dessen innere und äußere Lage so schwer ist, dass es Illiaden und Äneiden bedürfte, um sein Schicksal zu erzählen. Diesem Staat und seinem Volk wünschen Sie vor dem ganzen Ausland Krieg, um ihn zu vernichten, Zusammenbruch, Untergang. Da werfen Sie nun also einen Blick auf das nach Afrika sich hinziehende Meer, vielleicht tummelt sich gerade ein Schlachtschiff darauf mit Negertruppen aus jenen 600.000 Kolonialsoldaten der gegen Deutschland einzusetzenden berüchtigten französischen Forces d’outremer, vielleicht auch auf den Arc de Triomphe oder den Hradschin, und schwören diesem Land, das politisch nichts will als seine Zukunft sichern, und von dem die meisten unter Ihnen geistig nur genommen haben, Rache.“

In diesen Rundfunkreden erblickte Benn eine „neue historische Lage“ mit dem „Sieg neuer autoritärer Staaten“, welche den „Sieg der nationalen Idee“ vorantrieben. „Werdendes Gesetz des neuen Jahrhunderts“ sei nach Benn ein „totaler Staat“ in Einklang mit dem „Erscheinen einer neuen revolutionären Bewegung“ und eines „neuen menschlichen Typs“.

In der Erwiderung auf Klaus Mann und auch in anderen Äußerungen finden sich (wie z. B. im darauf gehaltenen kurzen Aufsatz Züchtung) explizit dem Nationalsozialismus sehr nahestehende Gedanken Benns zur Züchtung von Menschen und zur Eugenik:

„Verstehen sie doch endlich […] es handelt sich um das Hervortreten eines neuen biologischen Typs, die Geschichte mutiert und ein Volk will sich züchten. […] Aus den Nahtlinien des Organischen stößt die Erbmasse, aus den Defekten der Regenerationszentren die menschliche Gene ans Licht.“

Eine Durchsetzung seiner Kunstvorstellungen und seines Werkes gelang dem individualistischen und (ehemaligen) Expressionisten Benn im nationalsozialistischen Deutschland jedoch nicht. Er musste bald erkennen, dass die formale und inhaltliche Modernität seiner Werke unvereinbar war mit der nun herrschenden Ideologie. Nachdem schon seit September 1933 keine Gedichte von ihm mehr gesendet werden durften und seine Zulassung als Arzt gefährdet war, wurde Benn ab Mai 1934 verboten, Vorträge im Radio zu halten. Zwar wurde Benn noch im Frühjahr 1934 Vizepräsident der Union nationaler Schriftsteller. Er wurde jedoch schon früh (seit 1933) von verschiedenen Organen der Nationalsozialisten, wie z. B. im Schwarzen Korps, angegriffen, vor allem von Börries Freiherr von Münchhausen, der ihn wegen seines Namens, den er mit dem jüdischen „Ben“ assoziierte, als „Juden“ zu diffamieren suchte, und schließlich 1936 vom Völkischen Beobachter als „Schwein“ bezeichnet. Auf die Unterstellungen Münchhausens reagierte Benn, indem er in Lebensweg eines Intellektualisten seine Abstammung von einer deutschen Pfarrersfamilie betonte. Diese genealogischen Ausführungen nutzten ihm aber letztlich nichts.

 

 

 

„Keiner auch der großen Lyriker unserer Zeit“, so Gottfried Benn, habe mehr als sechs bis acht vollendete Gedichte hinterlassen, „die übrigen mögen interessant sein unter dem Gesichtspunkt des Biographischen und Entwicklungsmäßigen des Autors, aber in sich ruhend, aus sich leuchtend, voll langer Faszination“ sei eben nur eine Handvoll. In seinem Fall ist es der Gedichtzyklus Morgue. Er hat um seine Beschränktheit gewußt, wie sonst hätte er sich nach der Machtergreifung den NAZIS angedient.

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.