Eine Untersuchung der Inszenierung und Reflexion von Autorschaft

Ja, ich fühle mich nur am Leben, wenn ich schreibe. Seit ich 15 bin, explodiert es jeden Tag in mir. Mein Kopf ist so voll, und alles muss raus, ich kann nicht anders.

So oder ähnlich hat Friederike Mayröcker sich immer wieder in Unterhaltungen mit Freun- den, Kollegen, Redakteuren und anderen Zeitgenossen ge- äußert. Das per se nicht anzuzweifelnde Statement wird zu- sätzlich ›beglaubigt‹ durch das Füllhorn publizierter Bücher: Die 1924 geborene, in Wien lebende Schriftstellerin hat hundert und mehr Lyrik-, Prosa-, Hörspieltitel veröffentlicht und dabei Gedichte und Proëme geschrieben, die wortwährend an Dynamik, Komplexität, Lebendigkeit, Magie, Originalität, Verve gewonnen haben und sich wie selbstverständlich auf dem Hochplateau globaler Dichtkunst behaupten.

(…) Mit jedem neu geschriebenen Text, jeder – insbesondere für dieses Buch ausgeführten – Aktualisierung, Erweiterung, Überarbeitung, Neufassung habe ich mehr und mehr erkannt, daß die Essays und Gedichte zum einen als eigenständige Elemente gelten, im Kern jedoch zusammenhängende Bausteine eines intertextuell geprägten Gebildes sind, das mit dem Buch »Zischender Zustand ∙ Mayröcker Time« die ent:sprechende Form gefunden hat.

(Aus dem Vorwort von Theo Breuer)

 

Theo Breuers »Zischender Zustand ∙ Mayröcker Time« ist der erste Band in der Reihe LESEZEICHEN, die auf lebendige Weise Ansichten und Einsichten von, mit und über zeitgenössische Autoren und deren Werk vermitteln  will.

 

***

Zischender Zustand . Mayröcker Time von Theo Breuer. Reihe Lesezeichen Band 1 – POP VERLAG, 2017

Friederike Mayröckers Texte radikalisieren die Frage nach der Autorschaft. Sie suchen nicht nach einer Personalisierung, sondern führen eine Bewegung in den Text ein, die den Ursprung der Rede  unbehaftet läßt. Bei ihr wird das Konzept der Herrschaft über einen Text zugunsten einer unüberschaubaren – nur zeitweiligen – Perspektivierung aufgelöst. Mayröckers „Liebesspiel mit der Sprache“ kennt keine logischen Grenzen, es sucht und findet „das zärtliche Durchwachsensein grenzüberschreitender Honigkeiten“. Daß diese sprachlich avancierte Lyrik eine starke Wirkung auch auf die jüngeren Autorengenerationen ausübt, ist nicht verwunderlich. In sprachreflexiven Gedichten österreichischer und auch deutscher Lyriker (wie beispielsweise Thomas Klings und Sophie Reyer) ist ihr Einfluß spürbar. In Mayröckers Texten ist Autorschaft keine in der Verkleidung einer Erzählung mit Figuren und deren Entwicklung verborgene Frage, sondern artikuliert sich in der Frage nach Herkunft, Status und Professionalität des Schreibens. Diese Befragung möglicher Autorschaft wird von Theo Breuer in seinem Gebrauchslesebuch als Hyperautorschaft gelesen. Dieser Zischende Zustand ist eine spektakuläre, hyperaktive Hommage, die zu explodieren scheint vor Einfällen, Einsprengseln und Meta-Reflexionen und es doch immer wieder schafft, Inseln zum Verharren in den sprudelnden Textfluß einzubauen. So elegant und witzig kann eine schreibende Selbstvergewisserung sein, und ebenso geistreich und anregend ist dieses journalistische Produkt. Die beim ersten Band in der Reihe LESEZEICHEN versammelten Texte sind literarische Kleinode und damit das Beste des Genres; kaum einer Reflexion gereicht das hohe Tempo, das typisch für das Feuilleton ist, zum Nachteil. Niemand wird an diesen essayistisch-poetischen Reflexen einer Mayröckerrezeption (und immer wieder darüber hinaus) vorbeikommen – außer Stan Libuda.

Weiterführend →

Einen Essay über das Tun von Theo Breuer lesen Sie hier.