Kimberly

 

Die Schrotflinte am Rücken, eine flachbäuchige Miniaturausgabe von Virgin Mary in der Tasche, ein selbstgebrautes Destillat, von dem er sich ab und zu einen Schluck gönnte, spuckte er ein kehliges Lachen in den Fahrtwind, der ihm Haare und Gesichtshaut nach hinten straffte. Er war hormonell bedingt gut aufgelegt, dachte an Polly Plums Pflaumenhintern und die violetten Flecken, die seine Finger dort hineingeknetet hatten. Daß auch andere in diesem watteweichen, flaumigen Fleisch wühlten, daß Polly Geld dafür nahm, das störte ihn nicht. Sie war so französisch, roch nach Kuchen, nach Frau. Jeden Tag wäre ihm das zuviel. Zuviel Kuchen, zuviel Frau, zuviel Strümpfe, zuviel Wimperntusche. Öfter könnte es schon sein, aber alle zwei Wochen war es jedenfalls ein Fest. Bei diesen Gedanken die er genüßlich zerpflückte und dem reichlichen Genuß von Pollys Schnaps, dem er in den letzten zwei Tagen und Nächten ausgiebig zugesprochen hatte, war es ein Wunder, daß ihm das weiße, zappelnde Bündel, halb verdeckt von einem Steinhaufen und ein falscher Ton, der sich durch das Motorengeknatter fräste, aufgefallen war. Irgendetwas war daran faul und veranlaßte ihn zum Beilenken und Abstellen der Maschine am Straßenrand. Einen Augenblick lang war er versucht, das Bündel, das verzweifelt schreiend gegen den Hunger und das Verlassensein protestierte, als trunksuchtbedingte Fatahmorgana abzutun, dachte nie wieder Virgin Mary und ihren Schwestern zuzusprechen, oder mit allen zusammen zur Hölle zu fahren. Aber seine Hormone waren gut aufpoliert, er reagierte instinktiv und steckte das Geschrei unter seine Lederjacke an die Brust. Nach zwei Meilen verstummte es. Dirty Daddy empfand das als erholsam, aber auch beunruhigend, dachte das Baby wäre vielleicht erstickt oder sonst wie gestorben, und er schob seine vom Fahrtwind klammkalten Finger an die Babybrust, einen Herzschlag zu ertasten, worauf das empörte Geschrei auch prompt wieder einsetzte. Er bedauerte das, weil es ihn eine weitere Meile kostete, es erneut zum verebben zu bringen, aber er schloß daraus, daß es wohl ein nettes Baby war, weil es Motorradfahren so sehr mochte, daß es dabei nicht gestört werden wollte. Die Probleme fingen jedoch zu Hause erst so richtig an. Fieberhaft überlegte er, was man so einem Baby denn füttern könnte. Eingedoste Bohnen und Corned Beef kamen nicht in Frage kamen, das war ihm klar. Er probierte es mit in Wasser aufgeweichtem Zwieback, woran das Baby gierig sein Mäulchen anzappelte, um nach dem zweiten Versuch enttäuscht den Kopf wegzudrehen und wieder in ein erbärmliches Gezeter auszubrechen, bis ihm die rettenden Idee mit der Dosenmilch kam, die er vor zwei Jahren von einem in der Wüste gestrandeten Militärtransport, aufgelesen hatte. Pur mochte das Baby sie nicht, aber mit abgekochtem Wasser versetzt, schien sie ihm zu schmecken. Was Dirty Daddy nach drei nervenzermürbenden Stunden mindestens ebenso glücklich machte, wie das Baby selbst. Er holte seinen Gitarrenkoffer, nahm die Gitarre, das Prachtstück, so eine von der Sorte auf der auch Jimi Hendrix spielte, stellte sie fürsorglich zur Seite, polsterte den Koffer mit einigermaßen sauberen Handtüchern aus und legte das Baby hinein. Aber das Baby hatte noch nie etwas von Jimi Hendrix gehört, weigerte sich auch nur ein Ohr dafür herzugeben, fand es einfach ungemütlich und ließ Dirty Daddy das umgehend wissen. Also legte er es in sein Bett. Und nach anfänglichem Mißtrauen, schien es fürs erste gewillt ihm einen Vertrauensvorschuß zu gewähren, klappte die Augen zu und schlief ein. Die Stille war ein zerbrechlicher Ort. 

Eine Woche später lebte das Baby erstaunlicherweise immer noch. Das freute Dirty Daddy, aber er war übermüdet und nervlich sehr angespannt. Er hatte sich das nicht so vorgestellt. Ununterbrochen war er damit beschäftigt, das Baby zufrieden zu stellen. Und seit einer Woche war er nicht einmal mehr dazu gekommen war, sich ordentlich zu betrinken. Nach einer Nacht, in der er kein Auge zugetan hatte, weil das Baby nicht eingesehen hatte, daß es schlafen sollte, bloß weil es Nacht und Dirty Daddy hundemüde war, beschloß er, es zu Polly Plum in die Stadt der drei Frauen zu bringen. Schließlich war Polly eine Frau, und Frauen sagte man in solchen Dingen die bessere Hand oder zumindest Nerven nach. Er packte Dosenmilch und zugeschnittene Windelfetzen in die Motorradsatteltaschen, hob das kleine Ding aus seinem Bett und steckte es in seine Lederjacke. Und dabei sah es ihn an mit seinen undurchschaubaren, nachtblauen Augen, so friedlich und unschuldig, als könnte es kein Wässerchen trüben, und Dirty Daddy trieb es ein kleine Stecknadel ins Herz. Das Leben würde wieder anders werden ohne das Baby, sagte er sich zuversichtlich, er würde sich, in seinem Schaukelstuhl vor der Hütte aus Holz und Blech sitzend, ausgiebigst und in aller Ruhe betrinken. In der Vorfreude darauf stupste das Köpfchen unter die Lederhaut und trat die Maschine an. 

Polly Plum war überrascht, ihn nach so kurzer Zeit wieder an ihrer Tür zu sehen. Sie stand in ihrem puderrosa geblümten Unterkleid, mit bloßen Füßen und flammend roten Zehennägel auf den Treppen ihres Wohncontainers, als Dirty Daddy den Grund seines Besuchs aus der Lederjacke zog.
- Ist das süß, kicherte sie, klatschte in die Hände, und die kastanienbraunen Locken, die ihr bis zur Taille fielen, hüpften wie erschrockene Schlangen auf. Ungeschickt nahm sie das Baby in den Arm.
Dirty Daddy konnte ihr gar nicht zusehen dabei, er dachte, so geschickt Polly in der Liebe war, so blöd stellte sie sich mit dem Baby an. Und das Baby dachte das auch. Und wahrscheinlich mochte es auch keinen Geruch nach Kuchen und nach wildem Jasmin. Es schrie wie eine Trillerpfeife und sein Gesichtchen lief dunkelrot an. Bevor das Baby kollabierte und Polly es aus Nervosität vielleicht auch noch fallen ließ, entwand er es ihr unwirsch. Und der bereits routinierte Griff von Dirty Daddys Arm, sein Geruch nach Tabak, Lederjacke, Schweiß und Motoröl, schienen dem Baby die Welt zu versichern, es schniefte noch ein bißchen beleidigt vor sich hin, aber seine Hautfarbe wurde schön langsam wieder normal. Es wühlte sein Köpfchen in Dirty Daddys Halsgrube und himmelte ihn aus halbgeschlossenen Augen an. Da wuchs sich die Stecknadel in seinem Herzen zu einem Schwert aus. Und er ließ alle Hoffnung fahren, sich für längere Zeit, in aller Ruhe und ordentlich zu betrinken.
- Du gottverdammter, alter Dreckskerl, grinste Polly mit respektvoller Bewunderung, jetzt bist du auch noch Vater! 
Dirty Daddy seufzte ergeben.
- Willst du so eine Art Patentante für das Kind sein, fragte er sie. 
Und Polly wollte sehr gerne. Ohne daß sie es verhindern konnte, war Polly Plum dabei sich in Dirty Daddy zu verlieben. Und so etwas passierte einem schließlich nicht alle Tage. So wurde aus Dirty Daddy Dirty Daddy, aus Polly Plum eine Tante und das Baby bekam am darauffolgenden Sonntag den Namen Kimberly.

 

 

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Auszug aus Kimberly, Roman von Patricia Brooks, edition selene, Wien, 2001.

„Sicher aber kann man über Kimberly sagen, dass es sich um lustvolle und gekonnte Trashliteratur handelt, die mit Versatzstücken und Klischees locker jongliert, zugleich aber erstaunlich sympathisch altmodisch mit ihren Figuren umgeht. Sozusagen mit einem Herz für Retro, für Blues und Rock’n Roll, für Hippies und das unaufgeregte Leben, mit guter Musik und netten Leuten um sich. Beziehungen und Sex kommen durch die Bank ohne Cyber- Klischees aus. Und en passent wird die Musikgeschichte von Hendrix bis Punk und Maschinenmusik abgehandelt. Ein interessanter Mix: Cyberspace mit Bodenhaftung.“

Karin Cerny (Quelle: Wochenzeitung „Falter“. )

Weiterführend

Lesen Sie auch das Porträt der Autorin. Ein Kollegengespräch mit Patricia Brooks finden Sie hier.