Nach der Krankheit 1777

 

Ich lag und schlief; da fiel ein böses Fieber
Im Schlaf auf mich daher,
Und stach mir in der Brust und nach dem Rücken über,
Und wütete fast sehr.

Es sprachen Trost, die um mein Bette saßen;
Lieb Weibel grämte sich,
Ging auf und ab, wollt sich nicht trösten lassen,
Und weinte bitterlich.

Da kam Freund Hain: „Lieb Weib, mußt nicht so grämen,
Ich bring ihn sanft zur Ruh“:
Und trat ans Bett, mich in den Arm zu nehmen,
Und lächelte dazu.

Sei mir willkommen, sei gesegnet, Lieber!
Weil du so lächelst; doch
Doch, guter Hain, hör an, darfst du vorüber,
So geh und laß mich noch!

„Bist bange, Asmus? – Darf vorüber gehen
Auf dein Gebet und Wort.
Leb also wohl, und bis auf Wiedersehen!“
Und damit ging er fort.

Und ich genas! Wie sollt‘ ich Gott nicht loben!
Die Erde ist doch schön,
Ist herrlich doch wie seine Himmel oben,
Und lustig drauf zu gehn!

Will mich denn freun noch, wenn auch Lebensmühe
Mein wartet, will mich freun!
Und wenn du wiederkommst, spät oder frühe,
So lächle wieder, Hain!

 

 

***

Im März 1777 machte Matthias Claudius eine lebensgefährliche Pleuritis durch und erlebte einen Nahtod, einen Beinahe-Zusammenstoß mit dem Tod. Die Innenschau dieses Ereignisses schildert er in dem Gedicht „Nach der Krankheit“, das sich jedoch nicht auf die bloße autobiographische Verarbeitung eines medizinischen Prozesses reduzieren lässt, denn es bietet einen exemplarischen Einblick in seine Weltsicht und in seinen Umgang mit Leiden und Sterben.