Ohr-Ratorium

Avantgarde und Humor, eine seltene Kombination. Bernd Wiesemann entwickelte künstlerische Konzepte als Mittel zur Kommunikation mit dem Publikum. In diesem Sinne ist auch die von ihm von 1991 bis 2000 konzipierte und durchgeführte Konzertreihe „forum 20 – musik unseres jahrhunderts im spiegel der dezennien“ zu verstehen, für die er eine spezifische Form fand. Bei seinen konzeptionellen Projekten arbeitete er auf vielfältige Weise mit schreibenden, schauspielernden und bildenden Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Aus seinen Konzeptionsarbeiten sind etliche Kompositionen hervorgegangen.

Neue Wege beschritt Wiesemann vor allem in seinem eigenen kompositorischen und konzeptionellen Schaffen: Dabei entstanden beispielsweise CD- und Rundfunkproduktionen, Film-, Bühnen- und Kammermusiken sowie verschiedene Klangräume. Gern verwendet er ein ungewohntes Instrumentarium, um das Publikum zu irritieren und dadurch für neue Hörerfahrungen empfänglich zu machen. So setzte sich Wiesemann seit Ende der 70er Jahre für das Kinderklavier (Toy Piano) als Konzertinstrument ein, für das sowohl er selbst als auch andere Komponisten eine Reihe faszinierender Werke geschrieben haben. Darüber hinaus arbeitet er eng mit dem Saxophonisten Johannes Leis (Wiesemann-Leis-Duo) zusammen.

Die Komposition zu RedenRedenReden (auf MetaPhon in der Reihe ‚Dokumente‘) handelt vom unermüdlichen Wiesemannschen Forschergeist, von der ewigen Suche nach unverbrauchten Ausdrucksformen. Bernd Wiesemann hat versucht, die Form des Live–Hörspiels, die Gedanken der Hauptfiguren auf musikalische Verhältnisse zu übertragen und generiert mit seiner Komposition zu RedenRedenReden eine subtile Kongruenz von Wort–Ton–Bezügen. Die Anlage der Komposition ist schlicht und raffiniert zugleich. Tempomäßig und im Grundcharakter stiftet sie eine Bogenform. In den Zeitdauern ist sie ansteigend, die dynamisch intensivste Stelle steht etwa in der Mitte. Die Komposition ist durchgeformt. Das Tonmaterial kombiniert mit Papiergeräuschen und Komplementärakkorden, wird stringent ausgeführt. Ein Zug des Schweifenden, des locker Gelösten ist diesem Hörstück eigen, das von Kai Mönnich und Dietmar Walbeck als Sprecher gestaltet wird. Ihre gezackte Rezitation ist rasch als Parodie auf Rene Polesch Vokalstil zu verstehen. Die Grenzüberschreitungen, die dieses Live-Hörspiel thematisiert, vollzieht es formal in der Aufhebung der Gattungsgrenzen nach. Es wird ganz ohne Psychologie erzählt, eher als Status quo eines Experiments. Der Wortkünstler A.J. Weigoni weiß mancherlei über die harten Bandagen, mit denen man sich auch noch vier Jahrzehnte nach Cages europäischem Wirken um Kunstpfründe und Dicherlorbeer prügelt. Weigonis Live–Hörspiel RedenRedenReden, vordergründig eine Boxkampf–Parodie mit Kommentator und zwei schlagabtauschenden Dichter–Recken, zieht hinter der Witz–Fassade traurige Bilanzen. Sie sind auf der Suche nach der Poesie und finden Einzelteile einer versprengten Existenz.

Bernd Wiesemann gilt zu Recht als Komponist für Neue Musik. Er braucht zur Darstellung seiner Klang–Farben– Vorstellungen die Vielfalt der Instrumentalpalette. Seine Kompositionen sind nicht bloße „Begleitung“, sondern strukturell und diskpositiv ebenso gewichtig wie die Sprecherstimmen. Der Bilker hat im Terrain der Musik stets die schwierigen, scheinbar unbegehbaren Routen oberhalb der Baumgrenze gewählt. Man glaubt beim Hören schrundiges Felsgestein unter den Füßen zu spüren. Erkaltete Lavaboasen und schwarzes Geröll, scharfkantige Krater und gähnende Erdspalten; er assoziiert Reliefstrukturen mit dem Rumoren des Papiers, fauchende Fumarolen mit tonlosen Anblasgeräuschen. Wiesemanns Musik hat keinen illustrativen Charakter. Seine Klanglandschaften in RedenRedenReden sind abstrakt und trotzdem von eindringlicher Bildhaftigkeit.

Bernd Wiesemann starb in dieser Woche, KUNO trauert um diesen Musiker.