NR. 13

Treize – j’eus un plaisir cruel de m’arrêter sur ce nombre.

Marcel Proust

 

Le reploiement vierge du livre, encore, prête à un sacrifice dont saigna la tranche rouge des anciens tomes; l’introduction d’une arme, ou coupe-papier, pour établir la prise de possession.

Stephane Mallarmé

 

I. Bücher und Dirnen kann man ins Bett nehmen.

II. Bücher und Dirnen verschränken die Zeit. Sie beherrschen die Nacht wie den Tag und den Tag wie die Nacht.

III. Büchern und Dirnen sieht es keiner an, daß die Minuten ihnen kostbar sind. Läßt man sich aber näher mit ihnen ein, so merkt man erst, wie eilig sie es haben. Sie zählen mit, indem wir uns in sie vertiefen.

IV. Bücher und Dirnen haben seit jeher eine unglückliche Liebe zueinander.

V. Bücher und Dirnen – sie haben jedes ihre Sorte Männer, die von ihnen leben und sie drangsalieren. Bücher die Kritiker.

VI. Bücher und Dirnen in öffentlichen Häusern – für Studenten.

VII. Bücher und Dirnen – selten sieht einer ihr Ende, der sie besaß. Sie pflegen zu verschwinden, bevor sie vergehen.

VIII. Bücher und Dirnen erzählen so gern und so verlogen, wie sie es geworden sind. In Wahrheit merken sie’s oft selber nicht. Da geht man jahrelang ›aus Liebe‹ allem nach und eines Tages steht als wohlbeleibtes Korpus auf dem Strich, was ›studienhalber‹ immer nur darüber schwebte.

IX. Bücher und Dirnen lieben es, den Rücken zu wenden, wenn sie sich ausstellen.

X. Bücher und Dirnen machen viel junge.

XI. Bücher und Dirnen – »Alte Betschwester – junge Hure«. Wieviele Bücher waren nicht verrufen, aus denen heut die Jugend lernen soll!

XII. Bücher und Dirnen tragen ihren Zank vor die Leute.

XIII. Bücher und Dirnen – Fußnoten sind bei den einen, was bei den andern Geldscheine im Strumpf.

 

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Die Einbahnstraße ist eine entscheidende Gelenkstelle in Benjamins Gesamtwerk, in der Überlegungen des Frühwerks transformiert werden, um sie dann in späteren Arbeiten weiterzuführen. Dies veranschaulicht insbesondere die 43 Texte umfassende »Nachtragsliste zur Einbahnstraße«, die Benjamin Anfang bis Mitte der dreißiger Jahre zusammenstellte. Sie wird, neben dem Erstdruck und allen handschriftlichen Vorstufen sowie zeitgenössischen Rezensionen, in der neuen Edition erstmals als Einheit zu lesen sein. Der Kommentar und das Nachwort des Herausgebers machen zudem die Verbindung der einzelnen Texte mit dem Gesamtwerk Benjamins sichtbar und zeigen, inwiefern die Einbahnstraße die Tradition der europäischen Aphoristik aufgenommen und zugleich erneuert hat.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.