Grodek

 

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder

Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen

Und blauen Seen, darüber die Sonne

Düster hinrollt; umfängt die Nacht

Sterbende Krieger, die wilde Klage

Ihrer zerbrochenen Münder.

Doch stille sammelt im Weidengrund

Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,

Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;

Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.

Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen

Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,

Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;

Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.

O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,

Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,

Die ungebornen Enkel.

 

 

 

 

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Georg Trakl schrieb dieses Gedicht wenige Tage vor seinem Tod am 3. November 1914. Grodek entstand unter dem Eindruck der Schlacht in Galizien, in welcher der Lyriker als Sanitäter teilnahm. Er zeichnet in dramatischer Weise die Schrecken des Krieges, die ihn tief erschütterten und an denen er auch zugrunde gehen sollte. Dieses Gedicht ist weder in Strophen unterteilt noch weist es ein durchgängiges Metrum auf. Wie der Krieg selbst, so ist auch die Form vom Chaos geprägt.

Redaktionelle Anmerkung, aus dem Aufsatz eines Obersekundaners 17 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: Und tödlich trifft der heiße Hass das Gute, die Liebe im Herzen. Das Leben ist Kampf, ist Krieg – in Donner und Morden quält und tötet es, vergißt den Gott.

Der Krieg ist wild, und roh zerstört er Religion und Geist; durchs Leben hetzt beraubt der Mensch – durch eine graue, glimmende Aschenglut flieht und jagt er, und eine haßerfüllte Flamme frißt sein Herz, sein Haupt, und hungrig züngelnd reißt sie seine Söhne in die schwarze Zukunft eines flammenden Krieges …

Das ist der Krieg! Der Geist erschuf dem Menschen Macht, und Macht erschuf dem Menschen das Verderben. Seine ungezügelten Gedanken nähren seine Fehler: Die Gier, den Haß, den Machtwillen, den Drang zum Zerstören. Was er unbeherrscht zerstörte, baute er mit der Erkenntnis seiner Fehler wieder auf; Haß trifft auf Haß, und die Erkenntnis schafft das Lieben und den Glauben an das Gute.

Doch der Friede verwöhnt, beschwört den Neid herauf, die Gier, und grausam stürzt der Krieg den Menschen in schwarze Tiefen – bis zum hellen Erwachen. –

Wir kennen unseren großen Feind, das Feuer, das uns immer wieder tötet; und wir bekämpfen es, im Glauben an Gott, an die Natur oder das Gute. –

Manche verdammen den Krieg – viele fürchten ihn, doch sie wehren sich nicht; und andere schätzen ihn und mißbrauchen ihn, um hohe Ziele zu verwirklichen oder um sich durch den Krieg Macht und Ruhm zu erwerben.

Am Handeln erkennt man die Einstellung zum Krieg und zur Gewalt, zum Drohen mit dem Tod. Auch im künstlerischen Schaffen, wie in der Lyrik, offenbart sich der Mensch.

Und Georg Trakl verzweifelte am Toben, an den Schrecken und Folgen des Krieges. Was er mit eigenen Augen in den Schlachten sah, traf seine Seele hart – doch die Kriegsgreuel härteten sein Herz nicht; mit letzter Kraft schrieb er ein dumpfes, düstres Gedicht nieder: Grodek.

Schon der erste Vers zeugt von der negativen Einstellung Trakls zum Krieg: Der Abend in den herbstlichen Wäldern.

Der Abend spielt in der Lyrik eine bedeutende Rolle – umfassend verkörpert er das Ende des Lebens, ein Ende nach harter Arbeit, ein erreichtes Ziel. Trakl malt den Abend nicht in ruhigen Farben – er sieht ihn in düsteren, drohend dunklen Tönen, denn das Lebensende bedeutet im Krieg kein erreichtes Ziel, sondern Kampf mit Haß gegen uns selbst.

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder

von tödlichen Waffen …

Die herbstlichen Wälder kennzeichnen noch eindringlicher das Sterben, die Leere und die kalte Trostlosigkeit. Der immer wiederkehrende Herbst bedeutet das unendliche Sich-Wiederholen der menschlichen Unvernunft.

Die Philosophen Kant und Laotse glaubten, der Krieg sei durch Anstrengung der Vernunft vermeidbar. Tatsächlich waren die meisten Kriege vermeidbar, und die wenigsten wurden aus Not und Hunger oder Lebenskampf und um Lebensraum geführt. Und auch dann war der Krieg eine fehlerhafte Fortführung der Politik.

Düster rollt die Sonne über die Landschaft. Im tiefen Schwarz verbirgt sich das Böse, das Laster und herzlose Handeln. Der Dichter umreißt den furchtbaren Krieg bewußt mit düsteren Ausdrücken. In jedem Satz verurteilt er das Morden und Schlachten – er wehrt sich gegen den Tod von Menschenhand und klagt Gott an, wirft ihm die Untaten der Menschheit vor:

O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre …

Tödlich trifft die wilde Waffe die Natur, zerstört die „goldnen Ebenen“; mit roter Flamme brennt das Dorf; und junge Kinder, alte Greise sterben ungerecht im Feuer der menschlichen Willkür. Aber auch der zerstörende Mensch fällt – und seine Einsicht bricht in lautes Klagen aus. Doch zu spät richtet er sich auf und zerbricht an den nutzlosen Wunden, und die kalte, einsame Nacht quält ihn bis zum Tod.

Trakl hielt das Leben für sinnlos. Die blutigen Eindrücke des Krieges trieben ihn dazu, das Leben zu verneinen; auf die Sinnlosigkeit der Welt und des Lebens gab es für ihn nur die Antwort: Angst und Verzweiflung. Angst und Schrecken führt zum Zweifeln an Gott. – Zu seinem Bildnis schuf Gott den Menschen; und der Mensch tötet ein Leben, welches ihm nicht gehört, welches Gott gegeben hat.

Trakl glaubt an einen rächenden, zürnenden Gott, der das vergoßne Blut nicht ungesühnt läßt.

Trakls negative Aussagen gipfeln in dem Satz:

         Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.

Alle Lebenswege sind sinnlos und führen in Dunkelheit, und der Kampf der Menschen – welch Gegensatz zum Krieg! –, auf verschiedenen Wegen Seligkeit zu erlangen, muß scheitern, denn alle Wege wurzeln in Unvernunft des Menschen, die er erbt und weitergibt, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Leben zieht; im Kampf gegen das reine Gute siegt das Böse und artet in schrecklichen Kriegen aus. Der Weg der Seele führt also in das schwarze Ungewisse und, drastisch ausgedrückt – der Körper verwest.

Wie ein Strom fließt das Leben des Menschen dahin: Anfangs entspringt es hell und klar, und froh fließt es herab, über Hindernisse und durch Biegungen, bis es langsam, breit und müde wird. Unaufhaltsam geht es bergab – unbarmherzig zerschneidet es die Täler, und seine Fluten laufen ungezügelt über das Land, und schließlich enden sie im großen, weiten Ungewissen, im Meer.

Ein scheinbar sinnloser Vorgang. – Zurückblickend auf sein Leben dachte Trakl verzweifelt an die Sinnlosigkeit des Lebens, und wieder erscheint das Anfangsmotiv: Der Herbst. Ruhe und Frieden liegt über dem Hain, doch das Rohr tönt wie ein trauriger Flötengesang.

Nach der schmerzerfüllten Anklage gegen Gott richtet er sich noch einmal mahnend, doch schon völlig enttäuscht und verbittert gegen die Menschen: Immer größer wächst die heiße Flammensäule des Schreckens und der Furcht – und immer vernichtender wirkt sie sich auf die nachfolgende Menschheit aus. Die Folgen des Krieges werden auch sie nicht verschonen und erden ihr Lebensfeuer zu neuen Kriegen reizen.

         Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,

         Die ungebornen Enkel.

Der Krieg ist ein Verbrechen an Gott und der Natur, seiner Schöpfung – er treibt sich und seine Söhne in die schwarze Verwesung, schlägt sich selbst das Tor zur Seligkeit und zum Guten zu und macht sein Leben sinnlos.

 

Weiterführend → Eine Annäherung von Peter Paul Wiplinger an Georg Trakl finden Sie hier.

 Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.