Debit vs. Dada

Zombiewalks vs. Zombiebanken: Was bedeuten die grunzenden Untoten in unseren Straßen, Kinosälen und Timelines? Steht die Figur des Zombies für eine neue Form der Kapitalismuskritik?

Nach X-Factor und Das Supertalent war der Fernsehsender VOX diesen Sommer auf der Suche nach dem Start-up-Star. In der Castingsendung Die Höhle des Löwen stellten Jungunternehmer wie Marvin Metzke (27) und David Hagenkötter (26) ihre Geschäftsidee vor, um Kapital einzusammeln. Die Jury bestand aus wohlhabenden Personen aus der Wirtschaft, von denen die bekannteste der Reisunternehmer Vural Öger sein dürfte. Wie schon in der Serie Big Boss mit Rainer Calmund wird hier auf völlig unbekümmerte Weise Ökonomie mit Entertainment verbunden – mithin Wirtschaft so stark vereinfacht, dass sie leicht vom Herz ins Hirn gelangt. Eine solche Komplexitätsreduktion stellen auch der Geniekult um den verstorbenen Apple-Chef Steve Jobs oder die über Gebühr beanspruchten Aktien-Ratings und Firmen-Rankings dar. All das suggeriert, Wirtschaft sei ein ebenso integraler wie allgemein verständlicher Teil des gesellschaftlichen Lebens.

Besonders bizarr sind in diesem Zusammenhang die ARD-Börsennachrichten. Sie werden täglich vor der Tagesschau gesendet und erscheinen derart platitüdenhaft, dass sie problemlos mit ihrer gleichsam im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendeten Persiflage ausgetauscht werden können: „Damit der Aufschwung endlich auch bei Ihnen ankommt, erstelle ich Ihnen gewissermassen als Top-Boni eine Potentialanalyse. Damit auch Ihr persönlicher DAX die 9000-Punkte-Marke übersteigt. Und – darin sind sich alle ernstzunehmenden Opinion-Leader einig – alles ist letztlich reduzierbar auf die fünf Schritte des Erfolgs, zu deutsch: The five steps of success. Step 1: Nur wer loslässt, hat beide Hände frei. Step 2: Nur lebendiges Kapital ist fröhliches Kapital. Step 3: Die zweite Luft hat den längeren Atem. Step 4: Bleib wie du bist, nur anders. Step 5: Nützt ja nix.“ (Heinz Strunk 2013 in der NDR-Satiresendung extra3).

Nur wer loslässt, hat beide Hände frei. Der Kapitalismus entert das Entertainmentfeld. Und die ebenfalls zur Popularisierung genötigte Kritik schlägt auf ähnliche Weise zurück. Neben Persiflagen wie jene von Heinz Strunk und leicht zu vermarktenden Camps der Occupy-Bewegung, die dann von Stars wie Rapper Kanye West, Schauspieler Alec Baldwin und U2-Frontmann Bono besucht werden, gehören sogenannte Zombiewalks zu einer der avanciertesten Protestformen der Gegenwart.

Moderne Zombies

Schon in den 1980er Jahren wurde der Begriff Zombie von Edwar J. Kane, Professor für Finanzwirtschaft, für den Kapitalismus geprägt. „In seinem Buch The S & L Insurance Mess:

How Did it Happen? (1989) argumentierte Kane, dass der Auslöser der Krise sogenannte Zombie-Banken waren, die trotz eines negativen Substanzwerts weiterhin auf dem Markt agierten und ihre Transaktionen nicht auf der Grundlage von Eigenkapital, sondern von staatlich garantierten Einlagen der Federal Savings and Loan Insurance Coroporation (FSLIC) kalkulierten. ‚In effect, a zombie has transcended its natural death from accumulated losses by the black magic of federal guarantees‘ (Kane 1989: 4). Die Ursache der Bankenkrise sieht Kane damit nicht primär im Geschäftsgebahren der jeweiligen Zombie-Institutionen, sondern in der ‚schwarzen Magie‘ der nationalen Einlagensicherung. Indem potenzielle Verluste auf die SteuerzahlerInnen abgewälzt werden, während Gewinne in Form von hohen Managerboni und Ausschüttungen an TeilhaberInnen privatisiert werden, schaffe die FSLIC für Institute mit geringem Grundkapital einen Anreiz für schädliche Transaktionen.“ (Jeanette Ehrmann 2014 in der Zeitschrift für Kulturwissenschaften)

So kommt man von der Zombiewirtschaft zum Zombiewalk: Was 1932 als PR-Aktion für den Kinofilm White Zombie ersonnen wurde, kehrt jetzt zurück. Im Oktober 2011 wankten als Zombies geschminkte, grunzende Protestler durch die Wall Street. Sie traten ohne Anführer auf, als jeden Freak tolerierende Masse, als die unteren 99 Prozent des „American Way of Life“. Damit machten sie deutlich: Jeder kann der Nächste sein. Spätestens seit dem eruptiven Auftauchen besagter Wall-Street-Zombies sind die grunzenden Untoten nicht mehr nur für (Horror-)Genrefreaks sichtbar.

Grunzen gegen den Kapitalismus. Das klingt zunächst kurios und führt zu der Frage, in welcher Beziehung diese fiktive Schauerfigur zu den real Ausgebeuteten des Marktes steht. Sind Zombies die Kehrseite von Disziplinierung, Ich-AG und Fitnessmessern, die zur Selbstüberwachung angelegt und mit dem iPhone verbunden werden? Sind sie also eine Antithese von Slogans wie diesem: „Das Nike+ FuelBand SE Gold Edition ist der neueste Style aus der Metaluxe Kollektion. Mit seinen polierten, metallischen Akzenten, die es warm und schimmernd erstrahlen lassen, gibt es dir bereits beim Anlegen das Gefühl, eines deiner Ziele erreicht zu haben. Make every goal golden.“

Untote arbeiten besser

So viel steht fest: Die Figur des Zombies ist alt. Sie wurde bereits im Jahr 1697 in dem später von Guillaume Appolinaire herausgegebenen Kolonialroman Le zombi du Grand Pérou erwähnt und hält damit zur Zeit des erblühenden Freihandels Eingang in die westliche Literatur. Gerade in Verbindung mit Haiti, westafrikanischen Mythen und dem Sklavenhandel steht sie für kolonialchauvinistische Vorstellungen. Denn mitnichten ist der Zombie allein verknüpft mit dem Infektiösen, mit einer Leben auslöschenden Pandemie (wie zum Beispiel in den Mega-Blockbustern 28 Days later und 28 Weeks later). Vielmehr ist die Figur des Zombies seit jeher verbunden mit kapitalistischer Ausbeutung, Voodoo und der Idee eines ewig verdammten unchristlichen Untoten, der unter der magischen Macht eines sogenannten „bòkò“ (Hexers) steht. Die nach wie vor in Haiti per Gesetz unter Strafe stehende „Zombiefizierung“ funktionierte auf eine äußerst brutale Weise: So wird der später auszubeutende „zombi“ gezwungen, eine Droge einzunehmen, die lebenswichtige Körperfunktionen (Herzfrequenz/Puls) derart einschränkt, dass man keine Lebenszeichen mehr feststellen kann. Dann wurde er lebendig begraben. Vor seinem tatsächlichen Tod holte man ihn jedoch wieder zurück auf die Erde, um ihn dann als lebenden Toten in den Sklavendienst zu stellen. Er dachte, längst gestorben zu sein und ordnete, versehen mit einem neuem „Zombienamen“, seinen Willen dem arbeitsausbeutenden „bòkò“ unter.

Ein Verfahren, das so neu nicht ist – auch wenn es zunächst nicht um Arbeitssklaven ging. Bereits die arabischen Assassinen machten im 11. Jahrhundert arme Teufel mit Haschisch gefügig, stürzten sie in den Scheintod, „erweckten“ sie anschließend wieder zum Leben und setzten die Gefangenen als Selbstmordattentäter gegen Kreuzfahrer ein. Aus den arabischen Haschischrauchern entwickelten sich die heutigen Holy Assassins der ebenfalls kapitalistisch und religiös in Mitleidenschaft gezogenen/zerrütteten/ramponierten Selbstmordattentäter. So steht die Zombiefizierung eines Menschen seit zirka 1000 Jahren im Verhältnis zu Ausbeutung, Tod und Ermordung.

Dieses Verständnis des Zombies als bloßem „Human“kapital schwingt auch heute noch mit, wenn die Zombies auf der Wall Street laufen oder im wirtschaftlichen Feld als Metapher verwendet werden. Nicht umsonst werden Zombies in Filmen wie White Zombie (1932) oder dem Klassiker von George a Romereo Night of the Living Dead (1968) als willenlose Masse dargestellt – fühlen sich doch auch im Kapitalismus die „99 Prozent“ von einigen wenigen mächtigen „Hexern“ abhängig. Wenn seit 2011 Menschenmassen gegen ihren (ausbeuterischen) „bòkò“, ihren finanzkapitalistischen Glaubensführer beziehungsweise Sklavenherrn aufbegehren, wird also das ursprünglich chauvinistische Bild des Zombies umgewertet – auch in Deutschland, wo für diesen Herbst Zombiewalks in Leipzig, Lübeck, Essen und Hamburg angekündigt sind.

bim!

Bleibt das Grunzen und Stammeln. Woher kommt die Verweigerung einer verständlichen Sprache? Ist es Resignation, oder nicht vielmehr Anschluss an eine mitteleuropäische Kunstrichtung, die vor beinahe 100 Jahren antrat, um ebenfalls mit Stammeln gegen gesellschaftliche Normen, Disziplinierung und Obrigkeitsstaat zu protestieren? So sind die Ähnlichkeiten zwischen Zombiewalks und dem Dadaismus unverkennbar. Hugo Ball, einer der Mitgründer der Dada-Bewegung, rezitierte 1916 auf einer Dadistenveranstaltung die Zeilen „gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori / gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini / gadji beri bin blassa glassala laula lonni cadorsu sassala bim“. Darin drückt sich, ebenso wie bei anderen Strategien der Dadaisten, nichts anderes aus als die Ablehnung einer kapitalistisch infizierten und am Vorabend des Ersten Weltkrieges zur Propaganda verkommenen Sprache, die Nachbarn zu Erbfeinden erklärte, die Feinde zu Ungeziefern. Gegen derartige Perversionen konnten die Walking Deads der späteren Schlachtfelder von Verdun und Somme nur ihr Stammeln, Stöhnen und Ächzen entgegensetzen. Dada ist das „We are the 99 percent!“ avant la lettre. Genützt hat dieses Stammeln freilich: nichts.

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Jan Drees, arbeitet untern anderem für 1LIVE, WDR 5, Der Freitag, Rolling Stone. Er schreibt im Blog „LesenMitLinks.de“ über Literatur und Philosophie, ist Stipendiat der „Graduate School Practices of Literature“ in Münster und schreibt bei Prof. D. Andreas Blödorn und Prof. Dr. Moritz Baßler an einer Dissertation über „Systeme als Strukturmerkmal im Prosawerk von Hartmut Lange“.

Vom Autor empfohlen:

BUCH Markus Metz/Georg Seeßlen: Wir Untote (Verlag Matthes & Seitz, 2012)

ZEITSCHRIFT Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Ausgabe 1/2014: Zombies (transcript Verlag)

FILM White Zombie, 1932, Regie: Victor Halperin

Further reading →

Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das La­bor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Weiterführende Links: Kultura-extra, nrhz, fixpoetry