Mommy porn

Gestern fragten wir auf KUNO, ob es eine neue Liebordnung gibt. Heute setzen wir diese Betrachtung über den sogenannten Mommy porn fort. Seit Jahrzehnten überfluten uns die Bücher zur Gefühlskultur, teils aus historischer, teils aus psychologischer, aus philosophischer und natürlich neurologischer Sicht. Wir erinnern auf KUNO an Begriffe von Sennetts Tyrannei der Intimität samt Authentizitätswahn ebenso wie an David Riesmans außen- und innengeleitete Charaktere, Ruth Benedicts Abgleich kultureller Werte wie auch Norbert Elias‘ These der zunehmend verinnerlichten Schamkriterien, neben vielen anderen, die den Sex im Focus haben. Sex sells bedagt eine Redewendung aus dem Englischen. Im weiteren Sinne gehört Sex sells somit zum Gender Marketing: Sie bringt zum Ausdruck, daß sich ein Produkt besser verkauft, wenn es in einem Kontext dargestellt wird, der sexuelle Inhalte präsentiert. Dies ist in der Literatur seit Marquis de Sade nicht neues. Im Zeitalter der Emanzipation streiten Autorinnen wie Valerie le Fiery für das Recht der sexuellen Selbstausdeutung.

Hagedorn: Frau le Fiery, betrachtet man die Cover Ihrer Bücher, so kommt einem der Gedanke, das ist Mommy porn. Wo würden Sie das, was Sie verfassen einordnen?

Valerie le Fiery: Ich schreibe Erotik, und zwar eher sehr sanft und sinnlich. Wobei es auch härtere Geschichten gibt, die mancher sicher als pornografisch bezeichnen würde.

Hagedorn: Wenn man neue Frauenliteratur liest, kommt man zu der Schlussfolgerung:  BDSM, wie es kurz für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ heißt, wäre die Lösung für all die Probleme, die Beziehungen heute so oft mißlingen lassen. Ist dieses Genre eine neue Art von Ratgeber?

Valerie le Fiery: Ratgeber sicher nicht im Sinne von Problemlösern. Es sind eher Anregungen, was man alles eventuell noch ausprobieren könnte. Wenn man sich denn traut.

Hagedorn: Aus einem bestimmten Blickwinken gelesen, scheint SM eine brillante Lösung für die strukturelle Instabilität von Liebesbeziehungen zu sein, was etwa das Problem der Gleichheit zwischen den Geschlechtern angeht. Bietet sadomasochistischer Sex eine Möglichkeit zu mehr Sicherheit?

Valerie le Fiery: Sicherheit ist wohl ein Punkt, aber ob das unbedingt mit SM zu tun haben muss? Die Sicherheit entsteht ja durch unbedingtes Vertrauen. Das sollte aber ohnehin in jeder Beziehung vorhanden sein.

Hagedorn: Das Ich in der Literatur ist immer ein gespiegeltes, wir betonen bei KUNO immer wieder, im Wortsinn, die Reflexivität sozialer Werte. Es ist ein Muster zu erkennen, demzufolge ein ausdifferenziertes verworfenes Vertragswerk zur Pflicht gehört. Es gibt in diesem Berührungsgefüge nicht die allerkleinste Unsicherheit, im Gegenteil, mehr Sicherheit fand sich noch nie in einem Liebesroman. Was ist ihr Ansatz?

Valerie le Fiery: In dem einen Buch, was ich zu in diesem Themenbereich verfasst habe, gibt es zwar einen Vertrag, der ist aber jederzeit lös- und kündbar. Wohl gemerkt, ich beschreibe eine Online-Beziehung. Und Unsicherheiten sind dazu da, überwunden zu werden.

Hagedorn: Wenn man ihre Texte liest,.B. „Die Online-Sklavin“ hat man den Eindruck, Sadomasochismus wird als Lösung dargestellt für all die Widersprüche, mit denen wir heute leben. Muß man das als Aufklärungstext verstehen?

Valerie le Fiery: Es mag Aufklärung sein in Bezug auf Lustgewinn. Denn man wird beim Lesen feststellen, dass alles, was der Sklavin auferlegt wird, nur dazu dient, ihr Genuss zu verschaffen. Es ist eine Art Therapie zur Optimierung ihres Lustempfindens.

Hagedorn: Wir erleben einen neuen Schamverlust, den Wandel der Gefühlskultur. Mir scheint, die Schamlust überwältigt zu werden, befreit von Verantwortung und damit von Scham, scheint keiner Erörterung wert; dabei ist sie ein Leitmotiv erotischer Literatur. Das Motiv der Verführung, kann ohne Zustimmung nicht funktionieren. Die Gleichung Sex bedeutet Liebe bedeutet Ehe gilt auch für sie nicht mehr. Aber auch wenn die Frauen aufholen, ist doch zu beobachten, daß viele von ihnen immer noch viel stärker als Männer dazu neigen, eher eine starke emotionale Erfahrung zu suchen als eine sexuelle. Muß diese Erfahrung zwingend einschneidend sein?

Valerie le Fiery: Ich denke nicht, dass sexuell experimentierfreudige Frauen automatisch auch immer gleich die große Liebe suchen. Nichtsdestotrotz ist eine emotionale Bindung irgendwann natürlich für die meisten Menschen erstrebenswert, wenn auch nicht für alle.

Hagedorn: Kontrolle und Kontrollverlust, das sind genau jener zuverlässige Schraubstock und jenes Ventil, mit denen sich so ein sozialer Widerspruch literarisch ohne größere Krämpfe lösen lässt. Ist das einzige Problem, wie man die Genitalklammern richtig einstellt?

Valerie le Fiery: Eigentlich gibt es keine Probleme, außer vielleicht ungenügendes Vertrauen. Genitalklammern sind da eher zweitrangig.

Hagedorn: „Lady, liebe deine Möse!“, sagte einmal Germaine Greer. Eine von der Frau lustvoll erlebte Sexualität gilt gemeinhin als Kennzeichen feministischer Subjektivität. Sehen Sie sich als Feministin?

Valerie le Fiery: Ich bin alles Mögliche, aber sicher keine Feministin. Alice Schwarzer ist so überhaupt nicht mein Fall. Ich bin eine Romantikerin durch und durch.

Hagedorn: In Kanada wird seit 2006 jährlich der Feminist Porn Award verliehen. Schaut man sich Filme wie Baise-moi an, so wird der Sex durch einen Pornodarsteller beglaubigt wird, waren die Kugel Platzpatronen. Wie authentisch ist diese Art von Fiktion?

Valerie le Fiery: Ich kenne diesen Film nicht, kann dazu also nichts sagen.

Hagedorn: Das ist schade, daher ein kleiner Exkurs. Der Film von Virginie Despentes, von der auch die in deutscher Übersetzung unter dem Titel Baise-moi – Fick mich bei Rowohlt erschienene Buchvorlage stammt, reflektiert die Geschichte in einer schonungslos direkten, pseudo-dokumentarischen Machart, die den Zuschauer nach allen Regeln der Kunst terrorisiert. Durch seine fatale Nähe zum visuellen Jargon der Pornoindustrie und in seiner lustvollen Darstellung der Gewaltorgien geht der Film über das meiste dessen hinaus, was bisher im Kino zu sehen war, und verlangt vom Zuschauer ein Höchstmaß an Belastbarkeit. – Ist es eine Utopie, daß sich seelisches Leiden an einer Beziehung durch körperlichen Schmerz in pure Lust auflösen läßt oder ist ein postfeministische Märchen?

Valerie le Fiery: Seelische Leiden gehören immer in die Hand eines Fachmannes. Erst danach kann man über alles andere nachdenken, auch ob die Beziehung selbst die richtige ist.

Hagedorn: Verführung als Umgangsform, die zu allen amtierenden Normen Alternativen anbietet, mit diskursiver Überzeugungsarbeit, also gewaltfrei: Das wäre ein doch wunderbares Sprungbrett für eine Zeitgeistkritik an den emotionalen Moden. Abschließend die Frage: Was lesen Sie gern um sich zu entspannen?

Valerie le Fiery: Zum einen lese ich gerne in meinem Genre, aber unheimlich gerne alles, was mich zum Lachen bringt. Das kann auch so etwas Banales sein wie „SMS von letzter Nacht“.

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Wer neugierig geworden ist, die Produktpalette von Valerie le Fiery findet sich hier.