Der Preiß ist heiß, eine Polemik

 

Im Wust der Kleinförderungen und Autorennachwuchspreise, im Wirbel der medialen Dauererregung scheint die Neugier auf  Literatur verloren zu gehen. Routioniert wird in diesem Land an jeden Tag mindestens ein Preis verliehen. Nicht jeder erreicht den Bekanntheitsgrad eines Büchner-Preises. Und selbst bei letztgenanntem wäre es höchst fragwürdig ob Georg Büchner ihn je erhalten hätte.

Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.

Rosa Luxemburg

Rosa Luxemburg

Eine beliebte Veranstaltung sind Wettbewerbe, bei denen kreative Ideen abgeschöpft werden. So ist derzeit eine sogenannte „Romanwerkstatt“ des Literaturforums im Brecht-Haus in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Hier eine Passage aus der Ausschreibung:

„Geboten werden 4 Werkstattwochenenden in Berlin. Ziel der Werkstatt ist es, „einen begonnenen Roman oder eine Sammlung von Erzählungen im Rahmen der Werkstatt weiterzuentwickeln und im besten Fall fertigzustellen“. Die Werkstatt richtet sich an deutschsprachige AutorInnen, auch aus der Schweiz oder aus Österreich, „die schon erste Schritte im literarischen Leben unternommen haben (Publikation eines Buches oder Theaterstücks/UA [Uraufführung], Stipendium/Preis o. Ä.), sowie an TeilnehmerInnen, die eine besondere Begabung erkennen lassen“. Die Teilnahme ist kostenlos; Nebenkosten (Reise, Verpflegung, Unterbringung) zahlen die TeilnehmerInnen.“

Vier mal eine Reise nach Berlin + Unterbringung + der Kosten für die Nahrungszunahme. Ganz zu schweigen vom Alkohol, der es braucht die Urteile zu verdauen. Abschließend dürfen die Teilnehmer aus der Werk der betreuten Literatur lesen. Ob das honoriert wird, steht nicht in der Ausschreibung.

Der Verdacht liegt nah, daß es hier weniger um die Schriftsteller geht, als um die Literaturbürokraten, die in fester Anstellung einen Literaturbetrieb simulieren, bei dem es weniger um die Poesie geht, als um den eigenen Job. Was von der Idee von Literatur als symbolischer Form übrig bleibt, wird weiter unterminiert durch Sprachkritik und (Post-)Strukturalismus, Dekonstruktivismus und Postmodernismus – Geistesströmungen, denen man beste Absicht, kritische Berechtigung und emanzipatorisches Potenzial zubilligt, deren Verabsolutierung ich für verheerend halte.

Selbstkritik, rückisichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen Bewegung.

Rosa Luxemburg

Bei anderen Ausschreibungen im Literatur-Betrieb wird ein sogenanntes Bearbeitungshonorar abverlangt. Die Summe kann zwischen 12,- – 30,- Euro liegen. Bei einem ausgelobten Preisgeld, daß zwischen 100,- – 500,- Euro liegt, kann man sich bei entsprechender Beteiligung die Autoren die Kollegen finanzieren. Der Veranstalter geht kein finanzielles Risiko ein. Wie KUNO aus gewöhnlich gut informierte Quelle erfahren hat, wissen wir von 3 Fällen, bei denen Veranstalter ihre Kollegen „bedient haben“ und die eingeladenen Autoren von außerhalb Publikum spielen durften.

Nicht wegen des Fanatismus der »Gerechtigkeit«, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die »Freiheit« zum Privilegium wird.

Rosa Luxemburg

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Ganz beliebt auch der sogenannte Stadtschreiber, betreutes Wohnen sozusagen, anscheinend brauchen auch Schriftsteller Inklusion.  Weil man keine Satire besser formilieren kann, ein Auszug aus einer Original-Anschreibung:

„Auf Grundlage einer Zusatzvereinbarung sollte der Erfurter Stadtschreiber über seinen Arbeitsaufenthalt eine literarische Projektbeschreibung in Form eines Arbeitstagebuches erstellen, wofür er zusätzlich zum Stipendium ein einmaliges Honorar in Höhe von 250 Euro erhält. Es ist im Interesse der Stadt Erfurt, dass vom Erfurter Stadtschreiber in einer Thüringer Tageszeitung wöchentlich eine Kolumne erscheint. Es wird erwartet, dass der Erfurter Stadtschreiber für die Zeit seines Amtes die städtische Gästewohnung als Wohnsitz wählt. Der Stadtschreiber steht ohne Honorar für „literarische Gesprächsrunden“ im Rahmen der kulturellen Arbeit der Stadt zur Verfügung.“

Das schließt nicht aus, dass der Autor und nicht zuletzt der schreibende Rezipient wertvolle Anregungen mitnimmt, die künstle­risch Früchte tragen. Meist ist es so, dass Autoren zwei Haushalte führen müssen und auf ihrem Freudeskreis herausgerissen werden. Diese Residenzpflichten geraten zusehends in der Kritik. Nicht nur werden die Autoren aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, man schirmt sie mit Villenaufenthalten auch von der gesellschaftlichen Wirklichkeit ab. Ob in dieser Situation etwas anderes als Luftwurzelliteratur herauskommt, wage ich zu bezweifeln. Auch hier zu sehen, daß es weder um die Literatur, als um den Autor geht, eher um jemanden, den man vorführen will.

So ist das Leben und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.

Rosa Luxemburg

Der Höhepunkt für jeden Jungliteraten – nein nicht mehr Klagenfurt (auch bei dieser Rallye hatte die Bachmann wohl eher nicht resüieren können) – das Open-Mike in Berlin. Wenn ich diese Typen höre, erinnere ich mich an eine Passage, bei der Robert Walser die Germanistenlyrik vorausahnte, sehr gelehrt, reich an Anspielungen, Zitaten und Assoziationen, leider ohne Herz und Seele:

„Finden Sie nicht auch, dass die jetzigen Lyriker zu malerisch empfinden? Sie haben geradezu Angst, ihre Gefühle zu zeigen. Da suchen sie denn als Ersatz nach originellen Bildern. Aber machen Bilder das Wesen eines guten Gedichtes aus? Gibt nicht erst die Empfindung jedem Gedicht seinen Herzschlag?“

Und inzwischen steht gar der Bachmann-Preis zur Diskussion: „Im Bachmann-Preis feiert die Literatur sich selbst. Und sie feiert jene Aspekte, die Öffentlichkeit und Diskussion verdienen, indem sie unsere Aufmerksamkeit auf das Neue, Unerhörte, Frische lenken.“, ist in einer Protestnote zu lesen. Die alte BRD-Literatur verschwindet im Wörtersee, wo taucht eine neue auf?

Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.

Eugen ‚Bert‘ Brecht

Auch nach Jahren der Beschäftigung habe ich immer noch nicht verstanden, wie selbstreferentiell viele Literaturschaffenden um sich kreisen und alle anderen Kunstformen ausblenden. Wenn es nur darum geht, den klassischen Geschmack eines kleiner werdenden Bildungsbürgertums zu erfreuen, dann droht Stagnation und das Ende, und zwar nicht der Literatur, sondern einer Verlagslandschaft, die es in anderen Ländern so nie gegeben hat. Programme, die sich vornehmlich aus einem heteronormativen Weltbild zusammensetzen, werden einen Grossteil der Kunstinteressierten bald nicht mehr erreichen. Da ist mir der Alfred-Müller-Felsenburg-Preis für „aufrechte Literatur“ doch eher sympathisch, er ist mit einer Urkunde und einer Flasche „ehrlichen“ Landweins dotiert. Eine Flasche, davon bekommt man keinen Kater.

 

 

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Alexis Muston aus Straßburg fertigte diese Skizze seines Freundes Georg Büchner etwa 1835 an.

Weiterfühend→  Zum Büchner-Hintergrund lesen sie auch die KUNO-Artikel von Christian Milz hier und hier.

 Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.