Intime Ehrlichkeit in popiger Verpackung

Die Zusammenarbeit von David Byrne & St. Vincent bestichte durch die gelungene Verschmelzung zweier exzentrischer Künstlerseelen und ihre originelle Instrumentierung.

Ihr gemeinsames Album „Love This Giant“ ist schon wegen der ungewöhnlichen Instrumentierung bemerkenswert. Das markanteste Merkmal ist die umfassende Verwendung einer achtköpfigen Bläsersektion, die an die Stelle traditioneller Gitarren trat und dem Album einen einzigartigen, funkigen und energiegeladenen Sound verlieh. Die Ergebnisse kulminieren in einem Album, das insbesondere durch eine explosive Brass-Sektion und Beats. Obwohl die Bläser-Arrangements in ihrer Gesamtheit dominieren, ist „Love This Giant“ ein Hook-lastiges, mitreißendes und in jeder Hinsicht modernes Popalbum geworden. Obwohl der „grauhaarige Veteran und die die aufstrebende Indie-Künstlerin äußerlich ein ungleiches Paar schienen, verband beide eine verwandte künstlerische Seele und eine Neigung zur Exzentrik. Die Zusammenarbeit wirkte organisch und nicht erzwungen, wobei beide Künstler die Ästhetik des anderen ergänzten und gleichzeitig aus ihrer eigenen Komfortzone heraustraten. Im Gegensatz zu vielen Mentor-Schüler-Konstellationen war dies eine echte Kollaboration. Byrne und Clark schrieben zehn der zwölf Songs gemeinsam und teilten sich gleichmäßig die Gesangsaufgaben, wodurch ein Dialog zwischen ihren unterschiedlichen Stimmen und Perspektiven entstand. Die Tour zum Album war ebenso bemerkenswert, mit aufwendiger, synchronisierter Choreografie und der großen Bläserband, was die theatralische Qualität der Musik unterstrich. Die Arbeit mit Byrne, insbesondere sein Rat, niemals zurückzublicken und sich ständig neu zu erfinden, hatte einen spürbaren Einfluss auf Annie Clarks spätere Soloalben, die dadurch noch mutiger und „artifizieller“ wurden. So kam es dann.

„Masseduction“ ist gleichzeitig hochgradig zugänglich und zutiefst herausfordernd, indem es brillante Pop-Musik als Gefäß für komplexe, düstere und persönliche Erzählungen nutzt.

Annie Clark, die Künstlerin hinter St. Vincent, spielt mit ihrer öffentlichen Persona. Das Album ist ihr bisher persönlichstes, verwischt aber gleichzeitig die Grenzen zwischen der Kunstfigur und der realen Annie Clark, was die Spekulationen über ihr Privatleben (insbesondere ihre Trennung von Cara Delevingne) anheizte. Das Album ist durch ein starkes visuelles Konzept geprägt, das Pop-Ikonographie und Konsumkritik ironisch aufgreift. Das ikonische Albumcover, das nur das Gesäß einer Frau in pinker Strumpfhose zeigt, ist ein Beispiel für diese provokante Ästhetik. Soe sind auch die Songs, unvorhersehbar, sie wechseln abrupt Genres oder Stimmungen, wie zum Beispiel „Pills“, das von einem basslastigen Kinderreim zu einer Jazz-Ballade mit Saxophon übergeht. Masseducation behandelt düstere Themen wie Herzschmerz, Drogenkonsum, psychische Gesundheit und Tod in einem musikalischen Gewand, das oft eingängig, tanzbar und von 80er-Jahre-Pop inspiriert ist. Die Diskrepanz zwischen der glänzenden Oberfläche und dem rohen Kern ist ein zentrales Merkmal. Clark nutzt ihre Texte, um mit geschlechtsbezogenen Rollenbildern, Machtstrukturen und der Faszination für Tragödien zu spielen. Die Texte sind oft scharfsinnig, poetisch und hinterlassen lebendige Bilder. Dieses Album vereint futuristischen Elektropop, Glam Rock, New Wave und intime Klavierballaden. So etwas kann schnell altern, daher ist die Neuinterpretation von MassEduction in der Piano-Version zu empfehlen. Während die Originalversion durch elektronische Beats und opulente Produktion von Jack Antonoff geprägt war, legt MassEducation den Fokus auf die pure Songstruktur und Clarks Gesang. Es hebt die Verletzlichkeit sowie die emotionale Tiefe der Texte stärker her und es erweist sich, dass Clark eine der herausragenden Sogschreiberinnen ihrer Gereration ist.

 

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Love This Giant von David Byrne & St. Vincent, 2012

MassEducation von St. Vincent, 2017

Weiterführend Die Rockmusik erlebte seit den 1970-er Jahren eine enorme Vielfalt und ihren Höhepunkt in der Popularität verschiedener Subgenres wie Glam Rock, Punk und Ambiet. Bereits 1974 hatte Eno diese Entwicklung mit Here Come the Warm Jets angerissen. Als Innovator wirkte Brian Eno u.a. mit bei: Roxy Music, der Begründung des Ambient Music For Airports, der Lancierung einer Fourth World: 01 Possible Music, mit Jon Hassell und Remain in Light von den Talking Heads.