Barok’n’Roll

 

Einer Legende nach entstand der Bandname „Procol Harum“ in Bezug auf die burmesische Katze des Produzenten Gus Dudgeon, welche Procol Harun gerufen wurde. Ein Übermittlungsfehler machte schließlich aus einem „n“ ein „m“.

Als junger Mensch war ich beeindruckt von der – wie man heute sagt – ´Fusion` von Klassik und Rock. Mit Abstand gehört sagt mir nur noch „A Whiter Shade of Pale“ zu. Es ist ein Rocksong der britischen Band Procol Harum aus dem Jahre 1967 bei dem kurz nach Erschienen als Single klar war, dass die ein Song für die Ewigkeit war. Das Stück wurde als erste Bearbeitung von Bach-Werken in der Rockmusik eingestuft, nämlich des Eingangschors der Kantate 140 „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (BWV 140). Es handelt sich jedoch nicht um eine echte Bearbeitung, da nur die Harmonieabfolge der ersten Takte übernommen wurde. Näher liegt der Vergleich mit Bachs „Air“ aus der Suite D-Dur, da der getragene 4⁄4-Takt, die lange Note zu Beginn und der diatonische Abstieg der Basslinie zu erkennen sind (Takt 5 der Air mit Takten 2 und 3 des Songs, jeweils in eine andere Tonart gesetzt). Eine langsam absteigende, schwere Basslinie wird von den Harmonien C-Dur, a-Moll, F-Dur, d-Moll, G-Dur und e-Moll getragen. Bach-Autor Bernard S. Greenberg kommt beim Notenvergleich zu der Schlussfolgerung, dass „A Whiter Shade of Pale“ bei einem Takt eine Bach-Musikzitat darstellt und eine unverkennbare Beziehung zu den beiden diskutierten Bach-Stücken (der „Air“ aus der Suite in D-Dur und „Wachet auf, ruft uns die Stimme“) aufweist.

Erst-VÖ: „A Whiter Shade of Pale“ erschien als Single bereits 6 Monate vor der Langspielplatte und fehlte auf der ursprünglichen Ausgabe ihres Debutalbums. Dies ist nicht verwunderlich, weil die Single zu dieser Zeit das eigentliche Format war und sich die Langspielplatte erst später durchsetzt. Erst auf die Neuausgabe von 1972 wurde dieser Song auf LP wiederveröffentlicht. Auch über den Ursprung und die Bedeutung des Bandnamens gibt es verschiedensten Interpretationen; es soll ursprünglich der Name einer Katze gewesen sein, dann wurde er als (falsche) lateinische Übersetzung von „jenseits dieser Dinge“ erklärt. Die Songs des Debuts zeigen schon den typischen Procol Harum Stil: Matthew Fishers lange, klassisch beeinflusste Orgelschleifen, Robin Trowers bluesige Gitarre und Gary Brookers markanter Gesang. Manchmal klingt es noch nicht so ganz ausgereift, aber das liegt vielleicht eher an der Aufnahmetechnik als an der Musik selbst. Die Platte wurde in Mono aufgenommen, und die Klangqualität ist nicht ganz auf dem neuesten Stand (inzwischen gibt es eine Remaster-CD-Ausgabe, die als Grundlage dieser Betrachtung dient).

Zur Einordnung: Procol Harum spielt eine Musik, die zwischen Bach, Soul und Modern Jazz changiert. Die Konfusion über die textliche Bedeutung ist auch dem Umstand geschuldet, dass die Hälfte des Textes vor der Aufnahmesession herausgenommen wurde. Ursprünglich bestand er nämlich aus vier Strophen, die zweite und dritte wurden bei der Musikaufnahme gestrichen. Die inhaltliche Bedeutung erschließt sich eher, wenn man die fehlenden Strophen hinzunimmt. Dann wird klar, dass sich der Erzähler auf einem Schiff auf See befindet. Hinzu kommen surrealistische Wortspiele und bizarre Wortkaskaden, die auch in späteren Werken der Gruppe anzutreffen sind. Der auch für englischsprachige Zuhörer rätselhafte, mystische, wenn nicht gar undurchdringliche Text übernimmt zudem klangliche Funktionen, was durch die ausdrucksstarke Stimme von Brooker unterstrichen wird.

Auch in der CD-Version enthält das Debütalbum den ursprünglichen bluesigen Rock, der von Gary Brookers angenehmer Stimme dominiert wird. Bereits mit dem Titel „Conquistador“ gelingt es der Band sich stilistisch eindeutig von der gerade mal verklungenen Beat-Ära abgrenzen kann. „She Wandered Through The Garden Fence“ bietet eine gefällige Melodie, die trotz ihrer Schlichtheit nachhaltig überzeugen kann. Auch reine Bluesnummern wie „Something Following Me“ und „Cerdes (Outside The Gates Of)“ überzeugen. „A Christmas Camel“ und „Salad Days (Are Here Again)“ sind dann wieder von ausdrucksstarkem Gesang, Klavierspiel und markanter Hammond dominierte Titel, die trotz ihrer Eingängigkeit schon als erste Vorboten der symphonisch ausgeprägten Rockmusik angesehen werden können. Das von Hammondspieler Matthew Fisher geschriebene Instrumental „Repent Walpurgis“ ist ein weiterer Klassiker im Repertoire von Procol Harum und diente im Laufe der folgenden Jahre als stimmungsvoller Abschluss eines jeden Konzerts der Band. Auch als Abschluss des insgesamt sehr schönen ersten Lebenszeichens einer britischen Legende erfüllt dieser Titel seinen überaus stimmungsvollen Zweck.

Conclusio: Auf dem Debüt „Procol Harum“ hört man Pop, Rock und Blues-Musik, die einen Hang zum Barok besitzt. Immer wieder schimmern diese Ansätze durch, was beim ursprünglich letzten Titel des Albums, „Repent Walpurgis“, nochmals deutlicher zu Tage kommt, hier wurde ein Bach-Zitat mit eingeschlossen. Auch sonst gibt es beim digitalen Wiederhören nichts zu mäkeln am Debut der Briten. Der Sound der Lieder wurde auf der vorliegenden, remasterten Version des Albums deutlich aufgefrischt.

 

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Procol Harum, Erstveröffentlichung am 26. September 1967 – Von den Original Masterbändern überarbeitet. Neu remasterte und erweiterte Edition des Debütalbums auf CD und mit vier Bonus Tracks ergänzt.

Weiterführend  Rhythm & Blues lebt davon, dass die Ambivalenz bewahrt wird. Eine Betrachtung des tiefgründigen Folk-Songs: Both Sides Now. Wahrscheinlich hat selten ein Musiker die Atmosphäre einer Stadt so akkurat heraufbeschworen wie Dr. John. Die Delta-Blues-Progression des Captain Beefheart muss dahinter nicht zurückstehen, eine gute Einstimmung für sein Meisterwerk Trout Mask Replica. Wir lauschen der ungekrönten Königin des weißen Bluesrock. Und dem letzten Werk der Doors. Unterdessen begibt sich Eric Burdon auf die Spuren vom Memphis Slim. In der Reihe mit großen Blues-Alben hören wir den irischen Melancholiker. Lauschen dem Turning Point, von John Mayall. Vergleichen wir ihn mit den Swordfishtrombones, von Tom Waits und den Circus Songs von den Tiger Lillies. Und stellen die Frage: Ist David Gilmour ein verkappter Blueser?