Wien, den 23. 10. 1781
à / Mademoiselle / Mademoiselle Marieanne / Mozart /
à / Augsburg / in der Jesuitengasse
Ma très chère Cousine!
Ich war schon die ganze Zeit her auf einem Brief von ihnen, liebste Baase, begierig; – wie der ausfallen wird! – und wie ich mir ihn eingebildet, so war er auch. – Denn nachdemme ich einmal 3 Monathe vorbeygehen lassen, so hätte ich nicht mehr geschrieben – und wenn der scharfrichter mit blossem schwerdt hinter mir gewesen wäre; – denn ich hätte Ja nicht gewust: wie, wann, wo, warum, und was? – ich musste nothwendigerweise auf einen brief warten. –
Es sind unterdessen, wie sie wohl wissen werden, vielle wichtige sachen mit mir vorgegangen, wobey ich nicht wenig zu denken, und vielle verdrüsslichkeiten, ärgernüss, kummer und Sorge hatte, welches mir auch in der that zu einer entschuldigung meines langen Stillschweigenswegen dienen kann; – was sonst das übrige alles anbelangt, so muß ich ihnen sagen daß das geschwätze was die Leute von mir herumlaufen zu lassen beliebten, zum theil wahr, und zum theil – falsch ist; – mehr kann ich zur Zeit nicht sagen; nur noch zu ihrer beruhigung daß ich nichts – ohne ursache – und zwar – ohne gegründete ursache thue. – wenn sie mehr Freundschaft und Vertrauen zu mir gezeigt hätten, und sich gerade an mich /: und nicht an andere – und zwar! – :/ doch stille! – wenn sie sich gerade an mich gewendet hätten, so wüssten sie gewis mehr, als alle Leute – und wenn es möglich wäre, mehr als – ich selbst! – Doch – Nun daß ich nicht vergesse – haben sie doch die güte, liebste, beste baase, und überbringen sie sogleich selbst das beyliegende schreiben dem H: Stein; – und bitten sie ihm, er möchte mir doch gleich darauf antworten –, oder wenigstens ihnen sagen, was sie mir darüber schreiben sollen; – denn ich hoffe, daß unsere Correspondence liebes bääsle, nun erst recht angehen soll! – wenn ihnen nur die briefe nicht so theuer zu stehen kömmen! – wenn sie mich, wie ich hoffe, mit einer antwort beehren wollen, so haben sie nur die gewogenheit den Brief wie lezthin – nemlich auf dem Peter, im auge Gottes, im 2:ten Stock zu adreßiren; ich wohne zwar nicht mehr dort, allein auf der Post ist die adreße schon so bekannt, daß wenn ein brief gerade an meine logis gewiesen ist, ich selben einem tag oder ein paar täge später erhalte. – Nun leben sie wohl, liebste, beste baase! und erhalten sie mich in ihrer mir so schätzbaren Freundschaft; der meinigen sind sie ganz versichert; ich bleibe Ewig
Ma trés chere Cousine
ihr aufrichtiger Vetter ud Frd
Wolfgang Amadè Mozart
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Die Bäsle-Briefe wurden von der Forschung lange im Giftschrank versteckt.
Wolfgang Amadeus Mozart, ein PräDaDaist? Er ist auch ein Sprachspieler, reimte und vertauschte, schuf falsche Partizipien und neue Redewendungen, formte Worte zu Witzen zusammen und entliess seine Adressaten gern mit «summa summarum 12345678987654321 Empfehlungen», 100’000’000’000 Küssen oder «333 Complimenten». Und über all diesen Blödeleien waberte der strenge Geruch seines ausgeprägten Fäkalhumors. Ganz besonders gut riechen kann man diesen in Wolfgangs Briefen ans Bäsle, seine Cousine Maria Anna Thekla Mozart. Im Oktober des Jahres 1777 besuchte der 21-Jährige die zweieinhalb Jahre jüngere Tochter seines Onkels Franz Alois in Augsburg. 15 Tage verbrachten sie gemeinsam. Das sind 15 Tage, dessen wohl vergnüglicher Inhalt uns für immer verborgen bleibt. Einzig Wolfgangs Briefe, die er nach seinem Aufenthalt in Bayern an sie schrieb, sind die Zeugen einer dort geknüpften Verbundenheit der beiden jungen Leute. Marias Antworten sind bis heute verschollen.
Weiterführend → Mozart auf der Reise nach Prag ist eine Künstlernovelle von Eduard Mörike, welche an das musikgeschichtliche Genie Wolfgang Amadeus Mozart anknüpft und über eine völlig frei erfundene Begebenheit berichtet. Geschildert wird ein Tag aus dem Leben Mozarts im Herbst 1787.
Eine Vorschau auf einen Briefwechsel → Zwischen 1995 und 1999 hat A.J. Weigoni im Rahmen seiner Arbeit für den VS Kollegengespräche mit Schriftstellern aus Belgien, Deutschland, Rumänien, Österreich und der Schweiz geführt. Sie arbeiteten am gleichen „Produkt“, an der deutschen Sprache.