Minnesängerinnen der Postmoderne

 

Das  befreite Spiel mit der Liebe hat auch acht Jahrhunderte nach der frommen Anbetung der frouwelin durch den Troubadour oder den Minnesänger im abendländischen Gesang über die „Anbetung“ der Geliebten nicht zu deren Befreiung von Gewalt geführt. „Ich stehe nackt vor dir“ – mit diesem Bekenntnis des lyrischen Ich signalisieren die Liebesgedichte aus der Feder von Tamara Labas ein auf den ersten Blick kaum überraschendes Bekenntnis. Da lässt sich ein Du auf ein lustvolles Spiel mit einem Krieger “auf einer wiese / hinter dem haus“ ein, löscht ihren Durst mit geschmolzenen Gletschereiskristallen, und wünscht sich, dass die Krieger „doch ihren trunk nicht zwischen leichen suchen“  – ein solches klagendes Bekenntnis zieht sich durch den ganzen Gedichtband. Ein aufmerksamer Blick auf das Inhaltsverzeichnis bestätigt es. Die kleine Auster als Metapher für das weibliche Geschlecht und schmelzende Gletschereiskristalle als Symbol für aus der Erstarrung sich lösende Leiber, die im Begriff sind, sich zu verschlingen, füllen zunächst den ersten Teil des ganz in ein sanftes Hellblau gekleideten Gedichtbands. Was dann folgt ist die Klage über die lüsternen Krieger in den Rotlichtmilieus, die sich an jungen Frauen laben, die Väter, die sich an ihren Töchtern vergreifen, das „Betthupferl“ als schleimige Verführung, die Qual auf der Suche nach einer befreiten Liebe. Je intensiver diese Suche sich gestaltet, desto souveräner entfalten sich die erotischen Visionen, desto rascher bewegt sich das suchende Ich des Lesenden durch die Verskaskaden, wie in „DORN  IM MUND“ (s. 67), einem beinahe rauschhaften Liebesspiel, das leider am Ende der Nacht sich in Trauer auflöst. Und dennoch: das Spiel auf der kleinen Wiese hinter dem Haus geht weiter. Die Songs von Tom Waits wecken die Liebenden auf, Küsse, Schwüre … „am ende des tunnels/ licht / wir gehen / wir wissen“.

Und wir? Was löst der „Durst der Krieger“ in uns aus? Ratlosigkeit? Einsicht in ein erotisch hoch aufgeladenes Bekenntnis einer liebenden Sängerin? Die aufmerksame Wahrnehmung eines klagenden und zugleich lustvoll aufgeladenen Gesangs einer Poetin? Die kühle Selbstreflexion von „Kriegern“, die ihre erotischen und sexuellen Wünsche in den Lusthöhlen der Städte erfüllen?

Und die Minnesängerinnen der Postmoderne? Ist Tamara Labas mit ihren Gletschereis-Poemen und Austern-Metaphern ein Durchbruch in ein befreiendes Miteinander der Geschlechter gelungen, in eine Zeit, in der auch die Begriffe von Geschlechtern sich auflösen? Und die markanten strichhaften Figurationen zwischen den Themenfeldern, die hilflos im Gewirr der Gefühle zappelnden Gestalten, die zitternden Drahtmännchen und ziellos im Raum schwebenden Männchen in den illustrativen Zeichnungen von Jens Lay – sind sie Ausdruckspartikel für fragile Zustände? „Der Ausnahmezustand ist die Regel“ titelt Harry Oberländer seinen begleitenden Essay und würdigt die Auflösung der poetischen Formen, die auch bei Tamara nicht mehr in das Korsett der überlieferten Klangsubstanzen passen würden. Und die kompositionellen und wortspielerischen Konstrukte in den vorliegenden rund achtzig Poemen? Zu loben ist die Verbindung zwischen phantasiegeladenen Wortspielen zwischen Titeln und Poemen, das Wechselspiel zwischen Naturmetaphern und erotischen Assoziationen, der Wechsel zwischen knapp gehaltenen Verszeilen und fließenden Übergängen. Nur der Abgang ins Ungewisse bleibt zu nüchtern. Aus der mutigen Kämpferin ist eine Wissende geworden. Reicht das aus?

 

 

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Durst der Krieger. Liebesgedichte von Tamara Labas. Illustration: Jens Lay. Nachwort: Harry Oberländer. Neu-Isenburg (LuBurn Verlag) 2021

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.