Ein Lebenskreativer, der mit sich selbst im Reinen war

Weigoni blieb sich bis zum Schluss treu, seine Lebensgeschichte kann andere „freie“ Lyriker motivieren, sauber zu bleiben und ihr Ding gegen alle Widerstände seitens konservativem Szeneklüngel selbstbewusst und souverän zu drehen!

Thomas Holzapfel (Nahbellpreisko­mi­tee)

 

Die Lyrik von A.J. Weigoni ähnelte einer Kugel aus Kristall, sich drehend zeigte sie uns unendlich viele Facetten und wir blieben gefordert, immer aufs Neue nach ihrer Wahrheit zu fragen. Der dahinfließende Sound des Denkens und Schreibens hinein, in eine detailversessene, musikalisch vor sich hinkontrapunktierende Ästhetik der Poesie.

Diese Gedichte sind musikalische Gebilde, in denen der Klang der Alltagssprache, aber auch Dialekte und Jargons hörbar gemacht werden. Sie sind präzise geformt, und nehmen die Bewegung des Gehenden auf, dem die Tätigkeit des Gehens schon nicht mehr bewusst ist, dem Außen und Innen verschwimmen, dessen Denken vollkommen mit dem Takt der Welt korrespondiert. Gleichklang und Repetition: Es sind kleine Verschiebungen, die in diesem Text stattfinden, subtile Variationen werden bedeutsam, die Weigonis Poesie ist im wahrsten Sinne genau komponiert. Im Zerbrechen von Sprache und Form leuchtet eine Wahrheit auf, in der sich die Fragmentierung des heutigen Lebens spiegelt. Eine Sprache, die auf alles Kommunikative verzichte und ihr Geheimnis aus dem Fragmentarischen bezieht. Aus dem Verzicht auf Konsistenz erwächst Dichtung.

Weigoni gelang es gedankliche Offenheit mit stilistischer Präzision zu verbinden. Sprachphilosophie und experimentelle Lyrik für viele Lyriker siamesische Zwillinge, sie nähen sich beiden mal mit grober, mal mit feiner Nadel zusammen. Er unterwarf sich nicht irgendeinem formalen Zwang, sondern schrieb Literatur nach seinen eigenen Vorstellungen. Wir trauern um den Verlust, aber wir feiern zugleich das Vermächtnis seiner Lyrik und ihres Einflusses darauf, wie wir die Welt wahrnehmen.

 

 

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Der Schuber, Werkausgabe der sämtlichen Gedichte von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2017

Der Schuber wurde handgefertigt von Olaf Grevels (Vorwerk Kartonagen) – Photo: Jesko Hagen

 

Weiterführend → Jeder Band aus dem Schuber von A.J. Weigoni ist ein Sammlerobjekt. Und jedes Titelbild ein Kunstwerk. KUNO faßt die Stimmen zu dieser verlegerischen Großtat zusammen. Last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.

Hörbproben → Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren, von An der Neige und des Monodrams Señora Nada in der Reihe MetaPhon. Zuletzt bei KUNO, eine Polemik von A.J. Weigoni über den Sinn einer Lesung.