Die Hoffnung stirbt zuletzt

Dum spiro spero

Cicero

 

Manche Sätze bereiten mir seltsame Schwierigkeiten. Ein für mich geradezu prototypisches Exemplar dieser Spezies ist der vermeintlich so harmlose Stoßseufzer, den, zum Beispiel, schon mancher Fußballfan angesichts der schier aussichtslosen Situation seines Herzensclubs im Abstiegskampf ausgestoßen hat: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Natürlich weiß ich um die Metaphorik des Satzes. So wie der Dax nicht klettern, der Staat nicht eingreifen oder der Markt sich nicht selbst regulieren kann, so kann natürlich die Hoffnung auch nicht sterben, handelt es sich doch bei ihr wie bei allen anderen nicht um ein belebtes Wesen. Aber so, wie wir die Dinge nur zu gerne beim Wort nehmen, wenn es um den Dax, den Staat oder den Markt geht, so tue ich es ihnen gleich, wenn es um die Hoffnung geht. Deshalb überkommt mich stets ein Anflug von Trauer, wenn ich eben diesen einen Satz höre: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Er tut zum Verrecken nicht das, was er tun sollte – er spendet mir im Augenblick völliger Aussichtslosigkeit weder Trost noch lässt er mir einen Silberstreif am Horizont aufscheinen. Ganz im Gegenteil: Er besitzt für mich eine geradezu apokalyptische Dimension. Denn wenn es doch die Hoffnung ist, die zuletzt stirbt, so heißt dies doch nichts anderes, als dass alles andere wie auch alle anderen bereits vor ihr gestorben sind. Es also nichts und niemanden mehr gibt, der noch Hoffnung haben kann. 

Tritt dereinst der Fall ein, dass dieser Satz wahr wird, so läge das Ende längst hinter uns. Die Hoffnung hätte uns überlebt.

 

 

***

Essays von Stefan Oehm, KUNO 2020

Die Essays von Stefan Oehm auf KUNO kann man als eine Reihe von Versuchsanordnungen betrachten, sie sind undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen. Er betrachtet diese Art des Textens als Medium und Movens der Reflektion in einer Zeit, die einem bekannten Diktum zufolge ohne verbindliche Meta-Erzählungen auskommt. Der Essay ist ein Forum des Denkens nach der großen Theorie und schon gar nach den großen Ideologien und Antagonismen, die das letzte Jahrhundert beherrscht haben. Auf die offene Form, die der Essayist bespielen muss, damit dieser immer wieder neu entstehende „integrale Prozesscharakter von Denken und Schreiben“ auf der „Bühne der Schrift“ in Gang gesetzt werden kann, verweist der Literaturwissenschaftler Christian Schärf. Im Essay geht die abstrakte Reflexion mit der einnehmenden Anekdote einher, er spricht von Gefühlen ebenso wie von Fakten, er ist erhellend und zugleich erhebend. Daher verliehen wir Stefan Oehm den KUNO-Essaypreis 2018.