Gelbs Aquadrom

 

Gelb, sagt sie, Gelb hat uns verlassen, sagt sie über den Tisch gefaltet sitzend, hinter dem fusseligen Haar, das ihr über das Gesicht fällt, zu ihm, dem anderen, ein verknitterter Schleier, ein Fischflossenschleier, denkt er, gut, dann ist es vorbei, sagt er und was hat Gelb mit den Fischen gemacht, fragt er, die Hüfte in Gelbs nun bestätigter Abwesenheit unbekümmert besitzergreifend gegen die Lehne ihres Sessels gelehnt, während er sie beobachtet, beobachtet wie ihre nackten, schuppigen Unterarme zitternd über die Tischplatte schwimmen, wie ihre abbrechenden Fingerspitzen verstreute Nahrungsmittelflocken aufpicken und ihre ausgetrockneten Lippen gierig danach schnappte, das siehst du ja, sagt sie, die Alabasteraugen hinter getönten Scheiben verbergend, und deutet über ihre Schulter.

Er, der andere, der Neue ist eifersüchtig, sagte sie eines Tages zu Gelb, Gelb, der neben ihr über das Aquarium gebeugt stand und Futterflocken wie Blütenblätter auf das Wasser streute, als wäre nichts geschehen, als wäre alles so wie immer. Gelb betrachtete verstohlen den Neuen, betrachtete das nervöse Lippenspiel, das beunruhigt die Glaswand streifende bleierne Auge, er gönnte ihm seine Verwirrung, seine Einsamkeit und bedauerte nur, dass sie nicht von Dauer sein würde. Er gefiel mir so gut, ich konnte nicht anders, ich musste ihn haben, fügte sie, auf den Neuen deutend hinzu, stopfte sie, auf den Neuen deutend bettelnd in Gelbs Ohr hinzu, der es gar nicht so genau hören wollte, und was ist mit mir, fragte Gelb und legte seine Worte auf den kiesigen Grund des Aquariums aber das hat doch nichts mit uns zu tun, lachte sie in kleinen glucksenden Blasen über das Wasser.

Sie ist eine Fischfrau, sagte Gelb später, als sie sich daran gewöhnt hatten, sich nicht aneinander zu gewöhnen, zu ihm, dem anderen, mit den Fingerkuppen über die sich auf dem Sofa darbietende, sich ihm entgegenstreckende Rückenkrümmung streichend, sie hat keine Geschichte, keinen Zusammenhand und keine Bedeutung. Sie ist nicht das, was sie ist, sie ist das, was du willst, sagte er, der andere, aber ich bekomme auch meinen Teil davon, sagte er zu Gelb, Gelb, dessen Hände zu einer Geste der Herrschaft im Frauenrückenfleisch versanken und es behutsam von den Gräten lösten.

Der Fisch ist ein Symbol, sagte Gelb, ein Symbol für das Bewusstwerden des Unterbewussten, also für eine Wandlung, eine Umwandlung, eine Verwandlung oder eine Verwechslung vielleicht, auch das ist nicht auszuschließen, sagte Gelb ihm in den Rücken, sagte Gelb zu ihm, dem anderen, der mit dem Rücken zu dem Aquarium saß, dem das Aquarium in den Rücken fiel, ohne, dass er es bemerkte, der so tat als ob er Gelb nicht bemerkte, der seine Aufmerksamkeit auf ihr Kleid, auf ihr Fischkleid, auf den Fisch auf ihrem Kleid richtete, der ihm viel lebendiger und bedeutsamer erschien, als alle anderen Fische dieser Welt, der ihr vom Teller auf den Schoß gerutscht war, als sie ihm die Messerspitze in die Flanke gestoßen hatte, eine Ungeschicklichkeit, die sie Gelb zuliebe zu verbergen versuchte, Gelb, dem es dennoch nicht entgangen war, der ihr daraufhin die öligen Finger aus dem Schoß zog und sauber leckte.

Du beobachtest durch die Glaswand das Verhalten der Fische, beobachtest durch die Glaswand das Verhalten von uns drei, bist also Beobachtender und Beobachteter zugleich, aber gibt es außer diesem noch einen anderen Grund, weshalb wir so leben, wie wir eben leben, ich meine, wie die Fische leben, fragte sie gleichgültig und gedankenlos an einem Abend ohne Absicht, einem Abend wie alle anderen über den Tisch hinweg. Nein, antwortete Gelb, so scharf und frostig, dass sie erschrak, und ihm, plötzlich so verwirrt, einen hellen, klaren Augenblick zuwarf, der ihn ernüchterte und gleichzeitig in seiner absichtslosen Unschuld noch mehr erboste, dass er auffliegen, in ihr Gesicht stürzen und sie schlagen hätte mögen. Eingeschüchtert sank ihr die Brust zusammen, erschlaffte ihr die Brust hinter den fischbeinernen Stützen des Korsetts, Gelb sah es, sah es gerührt als ein Zeichen der Unterwerfung und verzieh ihr dennoch nicht.

Die Vormachtstellung dieses einen Gedankens über alle anderen, die Vorherrschaft dieses einen Bildes über alle anderen wird unerträglich, sagte Gelb, die Augen auf das flimmernde Wasser gerichtet, und selbst der Geruch deines im Fischleib verborgenen Geschlechtes überpackt alle anderen Gerüche, lässt mich nicht los, so als gäbe es nur diesen, deinen, einen, einzigen Geruch, und den will ich nicht teilen. Er lehnte seine Stirn gegen kühlgrünes Glas, sie trieb an der Oberfläche mit leichtem Herzschlag, das Aquarium ist schwer, sagte sie, du musst die Halterung des Regales, auf dem es steht, verstärken, sonst trägt es nicht das Gewicht, das Gewicht des Wassers, das Gewicht von uns drei.

Es stimmt etwas nicht, sagte er, der andere, es stimmt etwas nicht mit Gelb, Gelb spricht nicht mehr, seit Stunden, seit Tagen vielleicht, spricht nicht mehr zu dir, spricht nicht mehr zu mir, Gelb hat sein Sprechen zu den Fischen getragen und ist mit dem Schweigen der Fische zu uns zurückgekommen, sagte er zu ihr, die sie Zitronen in Scheiben schneidend vor dem Spiegel saß, die sich vor dem Spiegel mit dem Saft der Zitronen die Haut glänzend rieb, die so glänzende Augen nur für sich hatte und, heute Nacht habe ich gesehen, sagte, dass ein Fisch im Aquarium mit geschwollenem Bauch an der Oberfläche trieb, aber ich habe nicht so genau hingesehen, also nicht nachgesehen, welcher es war, welcher von den Fischen, wer von uns es war.

Die Gewohnheiten überlagern das Wesentliche, sagte Gelb, indem er seine im Aquarium eingelegte Zunge aus dem wehenden Tentakelnest der Seeanemone schälte, und lässt man das Wesentliche aus seiner Wechselbeziehung mit dem Unwesentlichen heraus, verliert es an Bedeutung, also werde ich gehen, also gibt es keinen Grund mehr zu bleiben, wir haben uns so sehr an unser Betrachten und Betrachtetwerden gewöhnt, dass sich an dem Besonderen unserer Perspektive, unserer Unterwasserperspektive, bereits dicke Ränder der Belanglosigkeit, ja Langeweile abgelagert haben, die uns die Aussicht verschmieren, sagte Gelb zu ihr, die ihm mit schleiernen Augen entgegentauchte, die mit trüben Flossen seine Hände abzuhalten bat, seine Hände, die sich an den Glasrand des Aquariums krallten, es aus dem Regal rissen, es umstürzten, es zu Boden stürzten und sie in einer Flut toten Wassers ertränkten.

Und was ist jetzt, wie geht es weiter, fragte sie sich selbst und niemand anderen mehr, fragte sie zwischen den Glasscherben auf dem Boden, gekrümmt, mit rasselnden Kiemen, und ihre silbrige Haut trocknete ihr davon, trocknete ihr in grauen, unansehnlichen Flecken davon, zu schnell, viel zu schnell, Gelb rührte sich nicht, sah sie nicht an, stand nur so da im teigig fahlen Licht der vom Boden heraufschreienden Beleuchtungsröhre des Aquariums, im Fadenkreuz verschielter Augenbrüche. Dann Stille, endlich Stille auf den Gesichtern der verschütteten Fische, den im Erzählen, im Lauschen, im Schweigen erstarrten Gesichtern, die Geräusche verschluckten einander im nicht mehr wahrnehmbaren Nachklang, im gefällten Dreiklang einer Geschichte, und verschluckten auch Gelbs unhörbare Schritte, die in den Wasserlachen über die rostroten Kunststofffliesen zur Tür glitten.

 

 

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Auszug aus:  Aquadrom. Kurzgeschichten von Patricia Brooks. Edition Selene, Klagenfurt 1993

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Lesen Sie auch das Porträt der Autorin. Ein Kollegengespräch mit Patricia Brooks finden Sie hier.