Rom, Blicke

Eine Variation

 

In Rom sehe ich, dass Größe und Schmutz keine Widersprüche sind, sondern den Menschen aus-machen wie seine Über-und Unterkleider. Ein Bettler pinkelt gegen eine Mauer. An derselben Mauer wird vorhin ein Schuss gefallen sein und küsste sich übermorgen ein Liebespärchen die Lippen verführerisch rot.

Die Mauer sagt welcome. Sie lässt geschehen, was eben geschieht, wenn Menschen damit beginnen, Stein auf Stein zu schichten, damit sie sich irgendwo anlehnen können. Auf einer langen, flachen Mauer vor dem Augustus Mausoleum stellt Fausto delle Chiaie jeden Nachmittag kleine Dinge aus, handgeschriebene Schildchen, einen alten Schuh mit einem großem Stein darin, Fortgeworfenes, ein Sträußchen aus Unkraut. Er kommt aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ein alt gewordener junger Mann, über den man sich ohne falsche Rücksichten amüsieren darf, er lacht gerne mit, wenn man ihn auslacht, es gehört zu seinen demokratischen Vorstellungen von Kunst für alle. In keiner Stadt der Welt ist die Kunst den Menschen aber so gleichgültig wie in Rom. Drei Münzen in die fontana di Trevi  geworfen zur baldigen Wieder-kehr. In Reih und Glied ordnen sich Texaner und bayrischen Pilger vor der Filmkulisse, um durch einen kleinen, mit Plexiglas abgetrennten Korri-dor ihre Wünsche zu werfen, die werden im Morgengrauen zum Wohle der unbegreiflich leeren Kassen der ewigen Stadt sorgfältig abgeschöpft. Vieles vergisst man oder will es erst gar nicht wissen, gut, dass man auch seine Wünsche vergisst und deshalb niemals erfahren wird, ob sie eigentlich in Erfüllung gegangen sind. Schönheit will bestanden sein, erstritten und in den eigenen Abgründen zärtlich vollendet. Der objektive Blick aus dem kalten Auge meines smartphones auf mich selbst, Leitbild in den Gassen des Hades, in denen Menschen aus Bangladesch für einen Euro zusammenklappbare Stative verkaufen, damit nichts verwackelt, wenn Mensch sich lachend beim Lachen zuschaut. Nur auf dem Platz vor der stazione Termini ist Zeit nie und nimmer für Selbsterkundungen philosophisch-technologi-scher Natur, es dampft und stinkt nach ver-faulendem Ost und Gemüse, alle Waren dieser Welt für einen Euro das Kilo nur, ein Mann entfacht fluchend ein Feuerchen, ein altes Weib, verdreckte Kugelgestalt unter unzähligen Schich-ten von Kleidern und Müllsäcken, säubert mit Schrubber und Wischlappen das Straßenpflaster als sei es die eigene gute Stube, ja es ist ihre gute Stube, hier träumt man nicht eng. Hier scheitert man nicht mit grandezza wie der Oskar preis-gekrönte Film von Paolo Sorrentino es nahelegt, der erspart den gestrengen Augen der interna-tionalen Jury die alte Tamilin, die mein Zimmer reinigt, Hotel Tre Stelle in der Via S. Martino della Battaglia, dreißig Zimmer pro Schicht, ich habe sie nicht gefragt, wie viel sie am Monatsende herausbekommt, wie sie es hält mit dem Träu-men in dieser Stadt des Größenwahns und der Niedertracht. Was stünde wohl auf ihrer Münze für den ewigen Brunnen, ich weiß es nicht, denn zwischen denjenigen, welche die Zimmer schmutzig machen und denjenigen, die sie sauber machen fehlen die Worte fein. Am Ende triumphieren allemal Dreck und Gestank über seine Verursacher und Beseitiger. Schmutzig die Kostüme der Gladiatoren, die sich für ein paar Euro vor dem Kolosseum zu einem Foto mit Wem auch immer herablassen, fleckig die billigen Fetzen, die allerorten an Marktständen flattern, schmierig die Tischdecken in den Cafés, an denen keine Poeten ihrer Gegenwart keine Poeme widmen. Pfützen und Lachen auf Schritt und Tritt, Schweiß, Blut, Urin, vergossener Kaffee, stark und süß, weicher Hundekot. Gleichmütig blaut der wolkenlose Himmel über dem lärmenden Durcheinander von Mensch und Getier, das sich durch die steinernen Därme der Stadt windet, dem mittelalterlichen Treiben täglich neuer Gegenwarten, ihrer grausamen Gier zu leben als seien unsere Tage nicht allesamt schon auf eine Schnur gereiht als glitzernde Kette aus Federn, Flitter, echten und falschen Steinen.

(2014)

 

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Postkarten aus Italien, Kurzprosa von Stefanie Golisch, fza verlag 2015

Es finden sich in dem Buch sehr persönliche Geschichten zu teils eher unbekannten Orten, abseits von Klischees und sattsam Bekanntem. Man spürt den Ort hinter der Geschichte eher, als das man ihn durch Informationen erlesen könnte. Italien bietet sich dafür natürlich an: man kennt es, weiß einiges darüber, hat schon ein Gefühl dazu. Dazu passt auch die Gestaltung und Benennung als Postkarten, die ja dem Zuhausegebliebenen die Gefühle des Reisenden vor Ort schildern. Und dabei spricht die Autorin verschiedene Facetten Italiens an – ganz persönliche Erinnerungen genauso, wie Beobachtungen zum Umgang mit Italiens faschistischer Vergangenheit.

Weiterführend →

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