Auf Liffeys vielen Brückenköpfen

 

Auf Liffeys vielen Brückenköpfen

Von Ost nach West:

Die Clarke Bridge, die ihre Pfeiler nach Bedarf

Zum Hafen öffnet, im Gegensatz zur Beckett-Bridge,

Die ihre vielen Kabel in Dublins Himmel zirkelt,

Und generös die Schiffe unter sich passieren lässt.

Die Sean O‘Casey-Bridge hingegen öffnet sich mit einem

Leisen Quietschen, wenn irgendwelche Kähne sie passieren.

Was dann folgt, verzaubert meine Netzhaut:

Talbott Memorial, Butt Bridge, Rosie Hackett,

Endlich eine Lady oder? Und dann: die vielfach umgebaute

O`Connell Bridge, wie wir in Dublins Brücken-Führer lesen:

Achtzehnhundertsiebenundsiebzig eingeweiht.

Und dann: Ha‘Penny Bridge, ein eisernes Skelett,

Auf dem die Säufer in die Bars zum Temple schwanken,

Rechts die schüttere Millenium Bridge,

Die, ein Jahr vor der Jahrhundertwende eingeweiht,

James Joyce, wie wir erfahren, als Augenzeuge sah,

Bevor er sechs Jahre später, um sich vom Jesuitengeist und,

Ich staune, auch vom Keltenjoch zu befreien, für immer

Seinem hassgeliebten Dublin den Rücken kehrte.

Nach so viel bitterem Erinnerungs-Geschmöker,

Nicht mehr belastet von subkutanen Strömen,

Öffnet sich befreit mein Blick auf feste Grundstrukturen:

The Grattan Bridge auf vier soliden Pfeilern,

Die nun ein Spiegel viktorianischer Gelassenheit geworden ist.

Die O’Donnovan Rossa und Mathew Bridge hingegen

Ruhen auf nur zwei steinernen Pfeilern, wie auch

Die Liam Mellows Bridge, die älteste in Dublin,

Kein Wunder, denn Liffey ist nur fünfzig Meter breit!

Was dann folgt, übertrifft die Phantasie der Brückenbauer:

James Bridge 2003, der halbe Bogen, rot lackiert,

Hier halt ich inne mit dem Blick auf O‘ More,

Und die Sherwin-Bridge, dahinter ragen Kerkermauern,

In den wie immer regennassen Himmel, wir kehren um.

 

 

 

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Zwischen Dublin, Belfast und Skellig Michael : poetische Reflexionen über eine Insel von Wolfgang Schlott. Bremen : Donat, 2018

Wer sich nach Irland aufmacht, das Tagebuch von Heinrich Böll nicht gelesen hat, nur dann und wann vom Irish Whiskey genippt, zu Hause den Schaum aus Guinness-Gläsern geschlürft hat und dann voller Neugier auf die grüne Insel fliegt, der wird nur mit wohlbekannten Schnappschüssen sein Bild von Irland zusammenbasteln. Wer nicht auf das Auto verzichten will, der entwirft einen Reiseplan, in dem die Kruzifixe und Gräber auf den vielen Friedhöfen, die exotischen Gärten, die Felsen an der Westküste, die bizarren Ruinen von Burgen, aber auch die wunderbaren Schlösser verzeichnet sind. Mehr noch: wer sich rechtzeitig in die verrückte Geschichte der Insel eingelesen hat, über die brutale Ausbeutung ihrer Bewohner durch die englischen Herren in Romanen und Erzählungen irischer Schriftsteller eingeweiht worden ist, da und dort etwas über die Wiedergeburt der irischen Kultur erfahren hat, den Freiheitskampf der irischen Katholiken, den wirtschaftlichen Aufschwung nach 2000  … Zuviel verlangt von einem Irland-Entdecker?

Die Gedichte ‚Zwischen Dublin, Belfast und Skellig Michael‘ zeichnen in rhythmisierten Bildern nicht nur visuelle Eindrücke von der Insel auf. Sie wechseln vielmehr zwischen vertrauten, gleichsam erstarrten Irland-Klischees und ungewöhnlichen subversiven Begegnungen mit steingewordener Geschichte und ihren Erben. Sie bemühen sich ebenso um liebgewordene Zeitgenossen wie auch um die legendären Hüter von Mythen und skurrilen Bräuchen. Außerdem greifen sie alte irische Bräuche auf, bemühen sich um die Aufzeichnung von komischen Sitten, spielen mit überlieferten und digitalen Techniken, erfassen den Alltag in Dublin, mäkeln an irischen Mahlzeiten herum, loben die Bed & Breakfast-Herbergen, hüten sich vor Vorurteilen. Und sie sind vorsichtig beim Genuss des berühmten irischen Whiskeys. Sie geben sich den harschen Winden an der Westküste hin, sind verzückt beim Anblick wuscheliger Schafe und sanfter Kühe, streicheln widerborstige Kätzchenlauschen dem vielstimmigen Gesang der Möwen – aber sie sind ratlos, wenn es um den Subsong der Vögel geht, die auf den felsigen Küsten im Westen oder auf dem kleinen Skellig im Südwesten der Insel ihre Brutgesänge anstimmen.

Und die bitteren Lobgesänge irischer Dichter und Dichterinnen auf ihr heiß- und hassgeliebtes Geburtsland, das sie oft mit Groll im Herzen, aber auch voller Sehnsucht für immer verließen? Sie tauchen als irische Stimmen in den vorliegenden Gedichten wieder auf. Ihre merkwürdigen Verse führen ein Eigenleben, denn sie treiben als Strandgut durch die bizarre und karge irische Landschaft. Und wer sie zufällig auffängt, wer sie lauthals vor sich hin spricht, sie in seinem Langzeit-Gedächtnis speichert, der wird sich nicht so schnell von ihnen lösen können, vorausgesetzt, er will unbedingt wiederkommen, so wie die Beiden, die in ihrem motorisierten Puppenwagen dieses magische Irland wieder entdeckt haben. Lassen Sie sich von ihren Zwiegesprächen überraschen!