Neues aus der Kaukasischen Bibliothek

 

Auch der vorletzte Band der bislang in der Kaukasischen Bibliothek publizierten Gedichte und Prosa zeichnet sich durch eine vorbildliche Einführung in das Werk des georgischen Dichters Badri Guguschwili (1951-1996) und in das kulturpolitische Umfeld seiner Publikationen aus. In seiner Dichtung bildeten Poesie und Alltag keine Gegensätze, lese ich. In seiner Poesie „werden religiöses Bewusstsein und avantgardistische Ästhetik beispielhaft ineinander verwoben.“ Er habe sogar Ende der 1980er Jahre Gedichte von Hans-Magnus Enzensberger übersetzen können, „die der sowjetischen Zensur verdächtig und unerwünscht waren.“ Eine solche Feststellung lässt umso mehr aufhorchen, als Bela Tsuburia in ihrem Vorwort auf die kulturpolitischen und persönlichen Begleitumstände verweist, unter denen Guguschwili zwischen Mitte der 1980er Jahre und dem Zeitpunkt seines Freitodes publizieren konnte. Zwischen 1990 und 1993, als das sowjetische indoktrinierende Kulturmodell in Georgien nach der Auflösung der UdSSR seine Funktion verloren hatte, veröffentlichte er fünf Gedichtbände. Eine finanziell abgesicherte Lebensgrundlage konnte er mit diesen Publikationen nicht erreichen. Der eben gegründete georgische Staat versank im Chaos des Bürgerkriegs, und für Dichter, so Tsuburia, „gab es da keinen Platz mehr“. Eine tragische Situation, in der Guguschwili als bedeutender Vertreter einer wieder belebten modernistischen Lyrik keine andere existentielle Lösung für sich als den Freitod fand.

Es ist dem in Westeuropa bekannten Dichter Dato Barbakadse, der auch in Deutschland einige Jahre lebte, Herausgeber zahlreicher Editionen georgischer Lyrik und bekannter Herausgeber österreichischer Lyrik des 20. Jahrhunderts, ein ehemaliger Freund von Badri Guguschwili, zu danken, dass er 2013 dessen Poem  „Die Königin des Fleisches“ aus dem Jahr 1993 erneut veröffentlichte. Nach Tsuburia erinnere sein Untertitel „Die Muse des Fleisches“ an die antike Tradition des Lobes einer Muse oder einer Göttin. Es handele sich um einen negativen Panegyrikos, der „durch die gegenfunktionale Anwendung des Prinzips des klassisch-klassizistischen Poesiegenres […] eine Annäherung an den postmodernistischen Kulturkontext“ versuche. Dabei gehe es um Konflikte zwischen seelischen und fleischlichen anatomischen Konzepten im christlichen Kontext, in dem in der georgischen Tradition ‚Fleisch‘ als physischer Körper in der materiellen Welt ein „fleischliches“ Leben führe. In diesem christlichen Traditionszusammenhang werde „der Fleisch gewordene Mensch […] von den fleischlichen Wünschen besiegt.“ Ausgangspunkt dieses Prozesses ist Jesus Christus, der durch seine Menschwerdung fleischlich wird und sich damit auch die menschliche Natur aneignet.

Es erfüllt einen in der christlichen Tradition Westeuropas aufgewachsenen Leser mit Verwunderung an, dass der Prolog zur „Muse des Fleisches“ mit der Vorstellung einer gewissen Lüsternheit behaftet ist: „Oh, meine liebe Königin, wie lange ist es schon, / dass du Freude an unseren gierigen Augen verspürst? / Seit wann kannst du deine Lust nicht mehr zähmen, /mit der du schon Generationen abgerichtet hast?“ (S. 97) Und während er noch die folgenden Zeilen liest: „Der Weg, den du gehst, ist mit unserem Fleisch als Teppich ausgelegt, /mit dem Fleisch, das am Fleisch anderer sich nicht satt essen kann,“ verstärkt sich in ihm der Eindruck, dass diese hoch komplexen poetischen Visionen noch eine weitere redaktionelle Bearbeitung durch eine kompetente Lektorin verdienen. Ein kritischer Hinweis, der nicht ausschließt, dass die vorliegende Fassung bereits einen überzeugenden Einblick in eine Poesie vermittelt, die lange verschüttete und unterdrückte Traditionslinien wieder belebt. Mithilfe bereits geschaffener verlegerischer Brücken nach Westeuropa, wie die der kaukasischen Bibliothek, sollte auch die georgische Dichtung des 20. Jahrhunderts – zumindest in unseren Universitäten- wieder einen Nischenplatz finden. Der vorliegende eindrucksstarke Band mit dem markanten fotografischen Profil von Badri Guguschwili auf dem Umschlag könnte solch ein Anreiz werden.

 

 

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Der Tag des Menschen. Gedichte von Badri Guguschwili. Nach einer Auswahl von Dato Barbakadse, mit einem Vorwort von Prof. Dr. Bela Tsipuria. Übersetzung aus dem Georgischen von Maja Lisowski. Ludwigsburg (Pop-Verlag) 2016

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.