Zwei Schlüssel

                       Ein Traum von Anfang und Ende.

Aus dem Schlaf will Schlange herausspringen ins Licht. Aber sie schafft es nicht, sie springt nicht hoch genug. Ermattet bleibt sie liegen, wie gefesselt ans Bett, und träumt weiter. Sie gebiert zwei Schlüssel. Der eine hängt am andern, verbunden durch einen Ring. Der untere, zuerst geborene, ein alter Schlüssel mit einem Bart, der obere, eine Kopfgeburt, ein neuer Schlüssel. Schlange wacht auf und erzählt mir den Traum. „Nimm beide Schlüssel in die Hand“, sage ich, „mit dem alten Schlüssel schließt du die Tür hinter deiner Vergangenheit zu …“ „Ja“, sagt Schlange, „mit dem anderen schließe ich das Fenster meiner Zukunft auf.“ Ich schaue sie an. „Schließt du mich ein?“, frage ich leise. „Nein“, sagt Schlange, „ich schließe dich auch auf.“

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

Weiterführend →

Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.