Romanze zur Nacht

 

Einsamer unterm Sternenzelt

Geht durch die stille Mitternacht.

Der Knab aus Träumen wirr erwacht,

Sein Antlitz grau im Mond verfällt.

 

Die Närrin weint mit offnem Haar

Am Fenster, das vergittert starrt.

Im Teich vorbei auf süßer Fahrt

Ziehn Liebende sehr wunderbar.

 

Der Mörder lächelt bleich im Wein,

Die Kranken Todesgrausen packt.

Die Nonne betet wund und nackt

Vor des Heilands Kreuzespein.

 

Die Mutter leis‘ im Schlafe singt.

Sehr friedlich schaut zur Nacht das Kind

Mit Augen, die ganz wahrhaft sind.

Im Hurenhaus Gelächter klingt.

 

Beim Talglicht drunt‘ im Kellerloch

Der Tote malt mit weißer Hand

Ein grinsend Schweigen an die Wand.

Der Schläfer flüstert immer noch.

 

 

 

Die nachhaltige Faszination der Gedichte von Georg Trakl liegt darin begründet, daß sich dieser  österreichische Dichter nicht eindeutig zuordnen läßt. Wir lesen eine Variante des Expressionismus mit starken Einflüssen des Symbolismus. Eine eindeutige Zuordnung seiner poetischen Werke zu einer der annähernd gleichzeitigen Strömungen ist  nicht möglich. Als erstem Rockstar der Lyrik ist auch bei ihm die Einflüsse von Arthur Rimbaud und Charles Baudelaire deutlich zu erkennen. Der Lyriker nahm an vielen Stellen seiner Gedichte auf seine Schwester Bezug. In Trakls Gedichten wird Margarethe Trakl als „Fremdlingin“ und „Jünglingin“ bezeichnet. Eine inzestuöse Beziehung wird im Gedicht Blutschuld angedeutet. Als Vorgänger der Yippies gestattete er sich Experimente mit Drogen (Chloroform, Morphium, Opium, Veronal und Alkohol). In seinem verschatteten Werk überwiegen die Stimmung und die Farben des Herbstes, dunkle Bilder des Abends und der Nacht, des Sterbens, des Todes und des Vergehens. Zwar sind die Gedichte reich an biblisch-religiösen Bezügen, und vielen eignet eine kontemplative Offenheit zur Transzendenz, doch nur selten bricht das Licht der Erlösung in das Dunkel. Ein Dunkelheit, die ihn am 3. November 1914 in Krakau, Galizien erreichte.

Weiterführend → Eine Annäherung von Peter Paul Wiplinger an Georg Trakl finden Sie hier.

 Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.