Was mit Liebe und so

Wie können wir heute noch ehrlich sagen: „Ich liebe Dich“?

Im Wissen um die Trivialität, der diese Worte, die Situation, in welcher sie gebraucht werden, durch Medien und Verkitschung unterworfen sind? Im Wissen um die Redundanz dieser paar Laute, und doch sind sie uns so wichtig. Warum? Weil sie zum Zeichen geworden sind, die Manifestation eines bestimmten Willens in einer Beziehungssituation zwischen zwei Menschen, das Symbol für eine besonders tief gehende Emotion.

Doch einmal ausgesprochen, werden sie nutzlos und überflüssig, bemerkt Barthes. Das Ich-liebe-Dich an sich ist inhaltsleer und besagt nichts. Lediglich Denotation eines vagen Gefühlszustandes. Keine Aktion, kein objektiver Informationswert. Zumindest nicht, nachdem es einmal geäußert wurde.

Vermessen, die persönlichste aller Empfindungen in die standardisierteste aller Formeln zu fassen, doch ihr Ausspruch ist Anstoß für eine Veränderung der Beziehung zwischen zwei Menschen. Ob vom anderen entgegnet oder nicht, so markiert sie ein Überschreiten des Rubikon: Die Beziehung von mir zum andern wird nun nicht mehr so sein wie zuvor, ich habe mich entblößt.

Und dann?

Einmal hervorgebracht, erfährt das Ich-liebe-Dich eine vollständige Sinnentleerung. Sein Zeichencharakter verbraucht sich durch Benutzung, und die spätere Wiederholung der Worte ist letztendlich redundant. Von der einmal erreichten Intimitätsebene kommt man nicht mehr zurück (es sei denn, man informiert bei entsprechender Gefühlsveränderung konsequent: „Ich-liebe-Dich-nicht(-mehr)“), es bedarf nicht der Versicherungen in ähnlich schönen und intimen Momenten.

Diese Worte dann doch immer wieder zu gebrauchen beweist eine gewisse Unbeholfenheit, wie ein nach Luft schnappender Fisch wollen wir unser überquellendes Herz mitteilen. Zur Liebesformel zu greifen zeugt hier vielleicht von Hilflosigkeit, aber auch dem Wunsch einer erneuten Versicherung, einem nostalgischen Bedürfnis, das Unmögliche zu unternehmen: die Zeit zurückzudrehen und den intimen Moment des gegenseitigen Liebesgeständnisses erneut durchleben zu dürfen, mit dem wohligen Schauer, den uns das Geständnis des anderen verursacht.

– Unmöglich, denn nun weiß ich, dass ich wiedergeliebt werde, und mein Herz wird bei keiner einzigen Wiederholung der Phrase so sehr bangen wie beim ersten Mal, wird nie wieder so erleichtert klopfen können.

Der postmoderne Mensch kann ohnehin nicht mehr unschuldig „Ich liebe dich“ sagen, schreibt Eco.

Das unschuldige Gefühl ist ebenso eine Illusion wie das unschuldige Auge. Wir haben schon zu viel gesehen, gelesen, uns vorgestellt, um in intimen Situationen ehrlich und unvorbelastet sein zu können. Den naiven Liebenden gibt es nicht mehr, selbst als Kinder streben wir schon nach gesellschaftskonformen Pärchenbindungen, abgeschaut von den Großen. Stets trägt man eine Maske, stets reden tausend Tote mit, wenn wir von Liebe sprechen. Zu genau ist die Liebe schon ausgemalt worden, um nicht unser eigenes Erleben zu übertünchen.

Reihen wir nur deshalb Liebesgeschichte an Liebesgeschichte?

Ist der einzige Grund für promiske Verzweiflung der, dass wir von dem einen Moment des Ich-liebe-Dich nicht genug bekommen können? Natürlich sehnt sich ein jeder nach Liebe, doch dieses aufregende Herzklopfen beim ersten Liebesgeständnis, das ist doch das höchste, was uns von Hollywood, Werbung und Künstlern suggeriert wird, das sublimste aller Gefühle…auf das wir alle am Ende hinarbeiten.

Zu sehr tritt dann im Laufe der Jahre das Misstrauen hinzu, ob ich tatsächlich diesen speziellen anderen Menschen begehre (Warum eigentlich unter Abermillionen Menschen auf der Welt genau diesen einen? Sollte es bei der Auswahl des Liebesobjekts dann doch mit so viel Zufall vor sich gehen?) oder die Zweierbindung, die er mir verheißt. Die Skepsis, dass der andere nicht mich will, sondern in die Liebe verliebt ist, in das gute Gefühl des Zurückgeliebtwerdens. Die reine, absolute Liebe, die frei ist von jeglichem Kosten-Nutzen-Denken, von Egoismus und Forderungen, kann es die überhaupt geben in der Realität? Oder bleibt die ideale minne am Ende ein hehres Konzept?

Wir brauchen die Liebe. Unsere Gesellschaft braucht die Liebe. Sie ist Teil des sozialen Überbaus, eine Stütze des Systems und hat als solche die Religion in ihrer Funktion als wichtigste Passion abgelöst, so Luhmann. Sie ist das neue Opium des Volkes. Das Glück im Privaten zu suchen ist so viel einfacher als sich an den unzufrieden machenden sozialen und politischen Umständen abzuarbeiten.

Love keeps us busy, especially our minds.

Aus diesem Grund spielen Werbung und Medien so gerne mit im großen Liebeszirkus: Sie ist so beliebt, die Liebe, und so unerlässlich für das Aufrechterhalten von Konsum und Kommunikation. Sie ist ein Konstrukt, das genormte Werte vermittelt, an den Mann und an die Frau bringt, sie erzieht und formt. Für sie tun wir Dinge, auch wenn sie uns widerstreben, treiben gerne großen Aufwand, scheuen weder Kosten noch Mühen. Sie lenkt ab.

In Liebesangelegenheiten kann man sich so gut verlieren und das große Ganze aus dem Blick geraten. Die private kleine Utopie erscheint als Ziel der Wünsche und Träume, sie hält uns ruhig. Sie garantiert die generelle soziale Harmonie, auch wenn sie gern für kleinere Unstimmigkeiten im Privaten sorgt. Stürme im Wasserglas. Ihr opfern wir vieles und nach ihr streben wir, über sie definieren wir uns und unser Leben. Liebe als Identifikationsmöglichkeit.

Ist Romantik bloß anerzogen? Herzklopfen konditioniert? Die Sehnsuchtsmaschinerie ein Evangelium?

 

 

***

Weiterführend → Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers.