Was schenke ich einem Snob?

 

Einen Snob beschenken heißt, sich auf eine Pokerpartie einlassen. Die Seele des Snobismus ist nämlich der Bluff. Bluff aus Frechheit oder aus Angst, das kann man hier so wenig wie im Poker unterscheiden. Jedenfalls könnte man gar keinen größeren Fehler machen als in die Defensive zu gehen, als sich schüchtern zu fragen: Was kann er gegen ein Reisenecessaire einwen­den, wie wird er sich zum Muster des Pyjamas äußern, welche Fratze wird er zu einem Cointreau ziehen? Snobs sollen provoziert werden. Je verächtlicher sie den Weihnachtstisch zu inspizieren pflegen, desto beiläufiger soll man ihnen das Ihre zuschieben. Man erspare ihnen keine Zweideutigkeiten. Bücher nur eingewickelt schenken. Preis deutlich mit Bleistift nachziehen. Noch wichtiger als die Auswahl der Bücher selbst – und Snobs kann man gar nicht aggressiver, verschlagener als mit Büchern beschenken – ist die Geste, mit dem man seinen höflich tastenden Blick als Netzball zurückschlägt. Charlotte Westermann: »Knabenbriefe« (Georg Müller). Er wird mit dem schmalen Band etwas ratlos dastehen. Und dann werden Sie sagen: »Ich verschenke nämlich nur Bücher, die ich selbst habe. Ich lese es hin und wieder. Es hat der Verfasserin weder Namen noch Geld gebracht, es ist nicht Auftakt eines zweiten Buches geworden, nur ein Erkennungszeichen für ein paar Leute, die es gelesen haben und sich nicht davon trennen wollen.« Sie werden, wie Sie hieraus ersehen, vermeiden, dem Snob die Stichworte zur Verfügung zu stellen, die ihm sein asoziales Gewerbe erleichtern. Sie werden also hier ebensowenig von Conrad Ferdinand Meyer sprechen, wie auf Wedekind anspielen, wenn Sie statt dieses klassizistischen etwa ein gleich verschollenes aber dekadentes Frauenbuch ihm unter seinen Mistelzweig (Weihnachtsbaum lehnt der Snob ab) legen: Henriette Riemanns »Pierrot im Schnee« (Erich Reiß). Das könnten Sie um so eher wählen, als es ein rechtschaffen schlechtes und dennoch interessantes Buch ist und aus einer Zeit stammt, wo beim Zusammenprall der Bohémienne mit dem Libertin noch die Funken stoben. Oberhaupt schenken Sie was Sie wollen. Das Entlegendste, Vergilbteste kann ihn genau so wehrlos machen wie »Im Westen nichts Neues« (Ullstein). Nur hüten Sie sich vor Einem. Nichts würde der gesunde, durchtrainierte Snob Ihnen mehr verübeln als die Rücksicht auf seine Interessensphäre. Da hätte er leichtes Spiel. Sie werden sie also im besten Fall persiflieren. Ist er Politiker, so schenken Sie »Bella« (Insel-Verlag), das wahre Snobsbuch der Politik. Ist er Regisseur, so bekommt er ein Handbuch der Liturgie. Hat jemand Beziehungen zu den Herren, die den Tresoreinbruch am Wittenbergplatz gekonnt haben (es ist alles zu wetten, daß sie Snobs sind), so soll er ihnen das »Bastelbuch« schenken. Vielleicht ist er aber über Weihnachten auf ein Gut eingeladen. Der Gutsherr ist leidenschaftlicher Snob und interessiert sich für nichts als für seine Treibhäuser. Man müßte dann schon so borniert wie er selbst sein, um ihm mit einschlägiger Literatur oder selbst mit alten, kostbaren Parkatlanten zu kommen. Eine kleine Novelle aber, die vor vielen Jahren bei Reiß erschien, wird ihn bis in die Wurzeln seines Stammbaums erschüttern. Sie heißt: »Die Menschenzwiebel Kzradock oder der frühlingsfrische Methusalem«. Ist er zudem Familienvater und hat er Kinder, so schenken Sie ihm (nicht denen) noch außerdem das schönste aller neuen Kinderbücher: »Das Zauberboot« (Herbert Stuffer). Nun mag er zusehen, wie er in den Feiertagen mit seinen Kindern sich auseinandersetzt. Gutwillig wird er es nicht aus den Händen geben. – Schenken ist eine friedliche Kunst. Aber dem Snob gegenüber muß sie martialisch gehandhabt werden. Freilich könnte da eine Komplikation entstehen: Wenn Sie ihn lieben. Für diesen außerordentlichen Tatbestand gibt es nun freilich auch einige außerordentliche Nothelfer. Das sind die Klassiker des Snobs, die großen Dichter, die beim Schreiben nichts so entsetzte wie der Gedanke, sie könnten vor dem Snob, den sie selber im Innern trugen – »le serpent« hat Baudelaire ihn in einem Gedichte genannt – sich bloßstellen. Stendhal (Insel-Verlag) und Thackeray (Georg Müller) sind die größten. Die schenken Sie ihm vielleicht in alten Ausgaben. Und wollen Sie ein übriges tun, so schreiben Sie, mit Rundschrift, hinein: »Weihnachten 1929 von Deiner …«

 

 

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Zum 70. Todestag von Walter Benjamin erinnert KUNO an diesen undogmatischen Denker und läßt die Originalität und Einzigartigkeit seiner Gedanken aufscheinen. Bei KUNO präsentieren wir Essays über den Zwischenraum von Denken und Dichten, wobei das Denken von der Sprache kaum zu lösen ist. Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.