Kongo-Ufer

 

Die Stunden verrinnen, ich wollte klagen,

sie haben mich seit vielen Tagen umhergetrieben,

und ich habe nur ein Leben. Vergeben

will ich es, hinbringen in die Schnelle

eines Herzschlags, ich habe doch Flammen

gesehen, und Opfer, habe doch Töne vernommen,

die wie hereinbrechendes Leid

alles Bedenken auslöschten, und Erinnerungen durchziehen

manchmal wie allmächtige Ströme die

Landschaft. Hundertmal hat meine arme

Seele den Tod geliebt, der ihr versagt ist.

 

 

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Annemarie Schwarzenbach: Selbstporträt mit ihrer zweiäugigen Rolleiflex Standard 621-Kamera (entstanden in den 1930er Jahren)

Die Schweizer Schriftstellerin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach würde heute ihren 100. Geburtstag feiern. KUNO erinnert an die Autorin mit einem Ausschnitt aus dem Gedichtzyklus „Kongo-Ufer“. Von Lissabon aus reiste Schwarzenbach im April 1941 nach Afrika. Über ihre Schiffsreise nach Léopoldville hat sie noch auf dem Schiff Reportagen verfasst, die in den „Afrikanischen Schriften“ in dem Kapitel „Zwischen den Kontinenten“ veröffentlich wurden. Schwarzenbach reist mit der Absicht nach Afrika, um „über das Leben, und die Fortführung des Krieges in den afrikanischen Kolonien zu schreiben“ und sich, zwar weitab vom europäischen Kriegsgeschehen, politisch auf Seiten der Alliierten zu engagieren.

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.

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