Der Visionarr

 

Lampe blöck nicht.

Aus der Wand fuhr ein dünner Frauenarm.

Er war bleich und blau geädert.

Die Finger waren mit kostbaren Ringen bepatzt.

Als ich die Hand küßte, erschrak ich:

Sie war lebendig und warm.

Das Gesicht wurde mir zerkratzt.

Ich nahm ein Küchenmesser und zerschnitt ein paar Adern.

Eine große Katze leckte zierlich das Blut vom Boden auf.

Ein Mann indes kroch mit gesträubten Haaren

Einen schräg an die Wand gelegten Besenstiel hinauf.

 

 

***

Jakob van Hoddis (Geburtsname Hans Davidsohn; * 16. Mai 1887 in Berlin; † 1942 in Sobibór, „Generalgouvernement“) war ein deutscher Dichter des literarischen Expressionismus. Er ist besonders bekannt für das Gedicht Weltende, ein Werk aus der Anfangszeit des Expressionismus. KUNO möchte den Lyriker nicht auf dieses OneHitWonder reduziert wissen. 70 weitere Gedichte erschienen in den Avantgardezeitschriften Die Aktion und Der Sturm. Sein lyrisches Werk ist vor allem gekennzeichnet durch starke Chiffrenhaftigkeit und dadaistische Elemente. Viele seiner Gedichte zeigen einen skurril-grotesken Inhalt, vermischt mit naiven und schwarz-humoristischen Formulierungen.

Weiterführend →
Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.