Daseinssplitter

 

Alles Komische hilft mir und macht mich glücklich. Im Kino und überall.

erklärte die leidenschaftliche Cineastin Ilse Aichinger. Ihre häufigen Kinobesuche dienen aber auch dazu, um die „Zeit totzuschlagen, weil mir das Leben schon viel zu lange dauert“.

„Ich kann dort schreiben, ich kann machen, was ich will und bin dort ein Stück des Hauses.“ So beschreibt die Wiener Schriftstellerin Ilse Aichinger ihr Stammcafé, das sie fast täglich aufsucht und in dem die kleinen Feuilletons ihres letzten Buches „Unglaubwürdige Reisen“. In ihren autobiografischen Skizzen und Kurzessays, geht es um Ilse Aichingers im Nationalsozialismus ermordeten Angehörigen ebenso wie deren Mörder, unter denen sie dann ihr Leben verbrachte. Mit der Zwillingsschwester in die Kapuzinergruft, mit dem nomadischen Urgroßvater durch den Kaukasus, mit Sigmund Freud ins Londoner Exil, mit der polnischen Putzfrau nach Oswiecim/Auschwitz: Während dreier Jahre. Vom Attentat auf die New Yorker Zwillingstürme bis zum Literaturnobelpreis für Elfriede Jelinek, begibt sich Ilse Aichinger im Wiener Kaffeehaus „Demel“ auf Reisen. Reiseutensilien sind Stift und Papier, auf Speisekarten, Rätselheften und Einkaufstüten entstehen abenteuerliche Manuskripte. Reisegefährten sind Menschen, die sich während über 80 Jahren als „kräftige Schattenrisse“ in die Erinnerung eingeprägt haben. Die Routen führen, so direkt wie möglich und so „unglaubwürdig“ wie nötig, in die Topografie der eigenen Biografie das wechselvolle Leben einer der wichtigsten Autorinnen der deutschen Nachkriegsliteratur.

 

 

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Unglaubwürdige Reisen von Ilse Aichinger. Herausgegeben von Simone Fässler und Franz Hammerbacher. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.

Ihre Poetik des Schweigens ist ihre Konsequenz aus der Ablehnung jeder Form von Konformismus. An Ingeborg Bachmann schrieb Ilse Aichinger in einem Brief, daß sie „an immer kürzeren Versuchen“ arbeite, „die man auch nicht mehr Geschichten nennen kann. Das nächste werden wahrscheinlich Seufzer sein, um es noch kürzer zu machen.“

Weiterführend ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.