Unverblüth, der grüne Heinrich

Durchdringung des Erzählerischen und des Dichterischen – der wesentliche Zuwachs, den dem Deutschen die nachromantische Epoche gebracht hat – ist in Kellers beschreibender Prosa am vollsten verwirklicht

Nach langer Pause ist nun wieder ein Band der großen kritischen, von Jonas Fränkel besorgten Keller-Ausgabe erschienen. Es wird nach allem, was wir über die bewegte Geschichte der Edition wissen, keine Ruhepause gewesen sein. Vielmehr darf man in diesem Neubeginn – möge es ein gutes Vorzeichen werden, daß man ihn mit dem »ersten Bande« eröffnete – den Sieg in harten Kämpfen, nicht zum wenigsten gegen die Krise, die auch die Schweiz nicht ausließ, erblicken. Ein unscheinbarer Vermerk auf der Innenseite des Titels: »Herausgegeben mit Unterstützung des Kantons Zürich«, läßt hoffen, daß das Unternehmen nunmehr gesichert bleibt. Wenn es einen neueren deutschen Schriftsteller gibt, an welchem ernsthafte Textkritik und echte Philologentreue Entdeckerarbeit leisten können, dann ist es Keller. Im vorliegenden Gedichtband ist der Text auf Grund der Handschriften und Korrekturbogen im Nachlaß an 91 Stellen geändert worden.

 

 

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Sämtliche Werke von Gottfried Keller. Hrsg. von Jonas Fränkel. Bd. 1: Gesammelte Gedichte, 1. Bern, Leipzig: Verlag Benteli AG. 1931. XXXIII, 352 S.

Gottfried Keller, unbekannter Photograph 1870

Weiterführend

In 2022 wird sich KUNO der Kunstform Novelle widmen. Diese Gattung lebt von der Schilderung der Realität im Bruchstück. Dieser Ausschnitt verzichtet bewußt auf die Breite des Epischen, es genügten dem Novellisten ein Modell, eine Miniatur oder eine Vignette. Wir gehen davon aus, daß es sich bei dieser literarischen Kunstform um eine kürzere Erzählung in Prosaform handelt, sie hat eine mittlere Länge, was sich darin zeigt, daß sie in einem Zug zu lesen sei. Und schon kommen wir ins Schwimmen. Als Gattung läßt sie sich nur schwer definieren und oft nur ex negativo von anderen Textsorten abgrenzen. KUNO postuliert, daß viele dieser Nebenarbeiten bedeutende Hauptwerke der deutschsprachigen Literatur sind, wir belegen diese mit dem Rückgriff auf die Klassiker dieses Genres und stellen in diesem Jahr alte und neue Texte vor um die Entwicklung der Gattung aufzuhellen.

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