Es ist gut, einen Schreibtisch zu haben, aber …

Klaus Siblewski hat mit zehn hochkarätigen Autorinnen und Autoren gesprochen und ihnen die kuriosesten Arbeitsvorlieben und überraschendsten Schreibgeheimnisse entlockt. Durch seine präzisen Fragen sind detailgenaue Impressionen entstanden, die nicht nur viel über den Prozess des Schreibens verraten, sondern auch über die Persönlichkeit hinter dem Werk.

Ich schaue mir gerne Fotos der Schreibtische von Autorinnen und Autoren an und stelle mich in Museen ebenso gerne vor die Schreibtische berühmter Schriftstellerinnen und Schriftsteller, von Johann Wolfgang Goethe bis Thomas Mann und Bertolt Brecht, von Günter Grass bis Eva Demski und Martin Mosebach (wenn im Folgenden stets die maskuline Form verwendet wird, sind Autorinnen/ Schriftstellerinnen doch immer mitgedacht, das gilt auch für den Untertitel dieses Buchs). Gelegentlich geht vom Anblick dieser Schreibtische eine dunkle Kraft aus. Für kurze Zeit fühle ich mich gestärkt oder glaube, mich für die eigene Arbeit gestärkt zu fühlen, genauer lässt sich das wegen der Flüchtigkeit dieses Gefühls nicht sagen. Frage ich mich aber, was ich gesehen habe, kann ich diese Frage nicht beantworten – obwohl ich jedes Detail, vom Federkiel bis zu antiquierten Computern, ausführlich betrachtet und mir einprägen wollte. In der Summe bleibt, meist uneingestanden, ein unbefriedigendes Gefühl zurück, und wenn ich über die Gründe für dieses unbefriedigende Gefühl nachdenke, dann besteht ein wesentlicher Grund darin: Ich konnte die Bedeutung dessen, was ich gesehen habe, nicht im Mindesten einschätzen. Warum legte Heinrich Böll zum Beispiel eine Armada gespitzter Bleistifte in Reih und Glied auf die Platte seines Schreibtischs? Sollte der Anblick ihn ermuntern, wollte er immer einen Bleistift griffbereit zum Schreiben haben (aber hätten dann nicht zwei oder drei gereicht?), mochte er sich in dem Sinn unter Druck setzen, dass die Kolonnen an Bleistiften ihm signalisierten, hier werde nicht geträumt, sondern gearbeitet  – oder hasste er Bleistifte, nahm nie auch nur einen einzigen zur Hand, und aus purem Widerwillen gegen diese Stifte setzte er seine Schreibmaschine in Gang und fand ins Schreiben hinein? 

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Die Antworten finden sich in:

ES KANN NICHT STILL GENUG SEIN. Schriftsteller sprechen über ihre Schreibtische. von Klaus Siblewski. Kampaverlag 2020

Weiterführend → 

Zwischen 1995 und 1999 hat A.J. Weigoni im Rahmen seiner Arbeit für den VS Kollegengespräche mit Schriftstellern aus Belgien, Deutschland, Rumänien, Österreich und der Schweiz. Die Kulturnotizen (KUNO) haben diese Reihe in loser Folge ab 2011 fortgesetzt. So z.B. mit dem vertiefenden Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.