Eheliche Pflichten

Du bist nicht mehr so zärtlich zu mir, seit ich dich geheiratet habe, sagt Schlange. – Das stimmt nicht, sage ich, nachdem ich dich geheiratet habe, bin ich immer zärtlicher zu dir, denk nur an letzte Nacht! – Du hast mich geweckt, weil du bumsen wolltest, sagt Schlange, das war nicht zärtlich! – Aber ein weiterer Beweis meiner Liebe zu dir, sage ich. – Ein Beweis deiner Grobheit, sagt Schlange, wenn du mich wegen deiner animalischen Begierde aus dem Schlaf reißt! – Aber Schlange, sage ich, lasse ich dich in Ruhe, ist es falsch, kuschle ich mich an dich, ist es auch falsch. – Schau, sagt Schlange, du kommst nie im richtigen Moment! – Schlange, sage ich, die Romantik ist nicht planbar. – Dir geht es nicht um die Romantik, sagt Schlange, du willst bumsen. – Das eine tun, und das andere nicht lassen, sage ich, das ist meine Devise. – Dazu gehören aber immer zwei, sagt Schlange, wenn ich schlafe, habe ich genug Romantik, da brauche ich deinen vordergründigen Wunsch nach ‚Zärtlichkeit’ nicht. – Schlange, sage ich, du reißt Gräben auf zwischen uns! – Genau das ist es, was ich an deiner Art, mich zu lieben, so hasse, sagt Schlange, du findest für jede deiner Taktlosigkeiten einen ideologischen Überbau! – Unbewusst, sage ich, es denkt in mir von ganz allein. – In dir, sagt Schlange, denkt nur eins, das ist dein nächtlicher Wille! – Es ist der gleiche Wille, der mich von Anfang an zu dir hin zog, sage ich. – Ich habe nichts dagegen, sagt Schlange, wenn du so zärtlich bist wie am Anfang! – Dann hätten wir nicht heiraten müssen, sage ich. – Die Heirat ist kein Blankoscheck, sagt Schlange. – Und wie kommen wir zu unseren ehelichen Pflichten?, sage ich. – Wenn du begreifst: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel! Sagt Schlange.

 

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Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann, Kulturnotizen 2016

In den Schlangegeschichten wird die Dialektik der Liebenden dekliniert. Ulrich Bergmann schrieb mit dieser Prosafolge eine Kritik der taktischen Vernunft, sie steht in der Tradition der Kalendergeschichten Johann Peter Hebels und zeigt die Sinnlichkeit der Unvernunft, belehrt jedoch nicht. Das Absurde und Paradoxe unseres Lebens wird in Bildern reflektiert, die uns mit ihren Schlußpointen zum Lachen bringen, das oft im Halse stecken bleibt.

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Eine Einführung in die Schlangegeschichten von Ulrich Bergmann finden Sie hier.