– Candida Kölbern ist Ästhetin.
– Candida Kölbern in der Selbstdarstellung: Candida Kölbern ist mal ein Holzscheit, mal ein Lagerfeuer, mal die erfolgte, mal die nicht erfolgte Zündung dazwischen.
– Candida Kölbern meint bei manchen Menschen im Profil deren Schnabel zu erkennen.
– Candida Kölbern ist überdurchschnittlich sinnenfreudig.
– Candida Kölbern macht selbst im Urlaub nicht Halt vor ihrer liebsten Beschäftigung: dem Schreiben von Businessplänen.
– Candida Kölbern findet frivolen Umgang mit ernsten Themen weder frivol noch ernstzunehmend.
– Letztes unspektakuläres Ereignis im Leben von Candida Kölbern:
Candida Kölbern hat die Zahnseide entdeckt.
– Candida Kölbern hätte sich gerne mit einem griechischen Philosophen unterhalten.
– Candida Kölberns Hobby: In Unterwäsche zum Briefkasten rennen und dabei unentdeckt bleiben.
– Candida Kölbern ist Candida Kölbern.
Nicht dass Candida Kölbern nicht hält, was sie verspricht. Candida hält nicht, was man sich von ihr verspricht. Candida wirkt nämlich anders, als sie ist, und sie ist ganz anders, als man denkt. Außerdem sieht sie ganz anders aus, als man sich das vorstellen würde. Wie Candida wirklich aussieht oder wie sie ist, soll man sich deshalb gar nicht erst ausmalen, denn man würde das Falsche annehmen. Mutmaßungen sind bei Candida genauso fehl am Platz wie Zigarettenqualm in einem Kinderwagen. Wenn Candida sich schön anzieht, muss dies noch lange nicht heißen, dass sie auch die Zähne geputzt hat. Befremdlich überdies, dass Candida gestriegelt, gutgelaunt und im Bleistiftrock aus dem Haus geht, um im Hinterhof in der Erde zu wühlen.
Candida bestickt viele ihrer Kleider mit Swarowski-Perlen, fühlt sich zu Chopin-Musik hingezogen, doch ihre Freundinnen beglückt sie ausschließlich mit Gegenständen aus gebürstetem Chromstahl oder beeindruckt mit ihrem Wissen über Londons Rapperszene. Dass Candida Hunde nicht ausstehen kann und dennoch seit ihrem achten Lebensjahr eine Promenadenmischung an ihrer Seite hat, passt also ins Bild. Auch dass Candida eine professionelle Präsentation erfolgreich meistert, jedoch sich weder daran erinnert, was sie gezeigt hat, noch je verstanden hat, um was es ging.
Mit diesen Voraussetzungen wäre Candida für eine Politikerinnen-Karriere wie geschaffen. Vielleicht deswegen immatrikuliert sich Candida enthusiastisch an höheren Schulen, geht aber aus aufrichtigem Desinteresse heraus nie hin. Logisch ist das alles nicht, aber es wäre diskriminierend, Candida deswegen einen verdorbenen Charakter nachzusagen. Candida ist nicht entschlüsselbar und lebt in Frieden mit der Einheit ihrer vermeintlichen Gegensätze. Sie wechselt seit je und je nach Laune sehr geradlinig zwischen Drude und Engel, zwischen naiver Lolita und abgeklärter Ganovin. Was erst auf den zweiten Blick erkennbar und durchaus lobenswert ist: Candida versteckt sich niemals hinter Masken, sondern wechselt ihre Gesichter wie eine Drag Queen ihre Perücken.
Es ist vorstellbar, dass Candida lediglich das Falsche äußert und dabei etwas anderes meint. Oder etwas meint, was sie gar nicht denkt.
„Wer nicht weiß, dass er eine Maske trägt, trägt sie am vollkommensten.“ (Theodor Fontane)
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Besonderlinge, Galerie der Existenzen I, von Joanna Lisiak, Wolfbach Die Reihe 2012
Joanna Lisiaks „Besonderlinge“ sind, wie der Titel schon andeutet, bemerkenswerte Figuren mit besonderen Eigenschaften: Sie wünschen sich Spielplätze für Erwachsene, sammeln Senfgläser oder führen Statistiken über Brillenträger. So schräg die einzelnen Charaktere in der Landschaft stehen, so liebenswürdig sind sie auch. Und spätestens auf den zweiten Blick erkennt man, dass diese raffiniert porträtierten „Besonderlinge“, die Joanna Lisiak in ihre „Galerie der Existenzen“ aufgenommen hat, gar nicht so fremd, gar nicht so anders sind.
Weiterführend →
Lesen Sie auch das Porträt der Autorin und das Kollegengespräch zwischen Sebastian Schmidt und Joanna Lisiak. KUNO verleiht der Autorin für das Projekt Gedankenstriche den Twitteraturpreis 2016. Über die Literaturgattung Twitteratur finden Sie hier einen Essay.