Alphabetikon

schreibend die Welt erschlieszen

mit Worten ihre Zumutungen auf Distanz halten…

Neugierde:

durch Skepsis imprägniert

Perspektiverweiterung führt zu einem maximal geschärften Bewusstsein

um in oraler Tradition zusammenzukommen

im Metaphernreservoir die Wanderungsbewegungen der Worte enträtseln

das Portmanteauwort im Textwerk aufklappen…

im Spannungsfeld zwischen Handlungstheorie

& Ethik das Alphabet zur Ikone werden lassen…

die endlose Kombination von

Buchstaben versetzt in die Lage

sich über intuitive Wahrnehmungen zu verständigen…

die Metaphernproduktionsmaschine generiert mit

mündlichen Einsprengseln poetische Kippvorrichtungen

welche die Verkehrsformen der Totholz–Variante fluid machen…

im Erinnerungsraum ist Poesie =

ästhetische Praxis eines Überlebenswissens

um eine verdeckte Wirklichkeit aus

Sprachablagerungen zu Re:konstruieren…

das Gedächtnis = ein Archiv von Erinnerungen

welche im Bezugsrahmen rekonstruiert wird

jede Spracherweiterung wird zur Welterweiterung…

Poetik des Daseins =

eine Sprache bevölkern

& in Geschriebenem aufgehen…

Alphabetikon, von Haimo Hieronymus, 2014

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Wiederbelebungsmasznahme, ein Langstreckenpoem von A.J. Weigoni

In 2024 stellt die Edition Das Labor ein nachgelassenes Poem von A.J. Weigoni in 366 Strophen vor. Es ist „ein freies Flieszen“ assoziierter Bildgefüge, eine Durchquerung entlegenster Wortfelder. Auf der Suche nach einer widerständigen Sprachlogik, dem letztlich unauslotbaren Geheimnis der Sprache. Ein entschlossenes Nomadisieren zwischen Flüstern und lautem Schweigen. Aus Wort- und Bedeutungsverschiebungen entwickelt sich ein eigener Sprachkosmos. Diese consolatio poesiae hat keinen Ort, sie wird für eine Weile im Datennirvana existieren und irgendwann ganz verschwinden. Reine Poesie überwindet die Grenzen des Darstellbaren, alle Wege führen ins Nichts.

Flankiert wird das Langstreckenpoem durch künstlerische Arbeiten von Haimo Hieronymus. In seinen Rotationen gibt es Zeichnungen von Feldern aus konzentrischen Ringen, die sich bedrängen und verformen. Es ist ein Prozess, der von Weiterungen und Abweichungen bestimmt ist. Es ist ein Beobachten und Skizzieren, der Versuch von der Konstruktion weg und auf das Wesentliche dahinter zu kommen. Manchmal erfassen dicke Striche das Papier, als seien unterschiedlich rotierende expansive Kräfte am Werk, die nach aussen drücken und an die Ränder verschieben. Das Branding von Haimo Hieronymus ist, keines zu haben. Sein verästeltes Lebenswerk entwickelte sich über die Jahrzehnte hinweg zu einer partizipativen, sozialen Plastik.

Weiterführend →Verbunden waren sich die Artisten durch ihre Arbeit an Künstlerbüchern. Vertiefend dazu das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Jeder Band aus dem Schuber von A.J. Weigoni ist ein Sammlerobjekt. Und jedes Titelbild von Haimo Hieronymus ein Kunstwerk. KUNO fasst die Stimmen zu dieser verlegerischen Großtat zusammen. Last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt. Zuletzt bei KUNO, eine Polemik von A.J. Weigoni über den Sinn einer Lesung.