Ohrenzwinkern

Der Rundfunk hat die Literatur zu einem stummen Gebiet gemacht. Alfred Döblin, 1921 A.J. Weigoni erlag der Faszination des Mediums Radio in seinen Kindertagen, als der Rundfunk zu einem Zauberinstrument des Wortes wurde, zur akustischen Probebühne der Poesie, zum Atem…

Redaktionelle Anzeigen und Erklärungen

  Unser Bestreben, die edelsten und bedeutendsten Künstler und Kunstfreunde für eine allgemeinere Verbindung zu gewinnen, als sie bereits in Dresden, dem Lieblingssitze der deutschen Kunst, existierte, hat den glücklichsten Fortgang. Demnach beginnen wir mit dem Jahre 1808, nach dem…

Nächtliche Schaufenster

  Wenn ich spät nach Mitternacht in der Potsdamerstraße nach Hause ging, eilte ich mich meistens nicht sehr, denn die Nachtluft kam mir erfrischend entgegen. Sie war wie ein Wanderer, der aus Grenzwäldern über Flüsse und Seen herkam und über…

Erinnerungsspeicher

Die Redaktion hat sich schon immer für Pop interessiert, gerade dort wo er sich zu Trash vulgarisiert. Einer Medientheorie zufolge verschwinden Medien nicht, die Palette des Ausdrucks verbreitet sich lediglich. Kassettenrekorder sind eine spezielle Form von Audiorekordern, bei denen die…

Das Werden im Vergehen

  Das untergehende Vaterland, Natur und Menschen, insofern sie in einer besondern Wechselwirkung stehen, eine besondere ideal gewordene Welt, und Verbindung der Dinge ausmachen, und sich insofern auflösen, damit aus ihr und aus dem überbleibenden Geschlechte und den überbleibenden Kräften…

ORNAMENT UND ERZIEHUNG

Antwort auf eine rundfrage Sehr geehrter herr professor! Ihre anfrage erreicht mich gerade zur rechten zeit. Es gibt wahrheiten, die man verschweigen muß. Samen auf steinigen boden zu werfen, ist verschwendung. Seit siebenundzwanzig jahren zögere ich daher, das auszusprechen, was…

Rudolf Schmied

  In seinem Knabenbuch »Carlos und Nicolà« namentlich der Nicolà sieht ihm auf ein Haar ähnlich. Also ganz genaue der Nicolà ist der Rudolf Schmied selbst. Ich höre ihn im alten Café des Westens und in München im Stephanie ebenso…

Kontakte

  Ganz oben am letzten Ende der Alm hatte er einen genehmen Patz gefunden, hier konnte er unbeachtet die Wanderer beobachten, der mal mehr, mal weniger entspannten Sprache der Mitmenschen lauschen, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Eher der…

Die Vertreibung aus dem Paradiese

  Das ist eine Welt, die zwischen Morgen- und Abendblatt lebt und sich von dem Dämmerschein des neuen Jahrhunderts nicht bange machen lässt. Irgendwo ist ihr plötzlich der Begriff für Dimensionen abhanden gekommen und sie beeilt sich darum, jeder Winzigkeit…

Er denkt an sein Land

  Es galt, die dunkelsten Stellen auf dem Papier abzulichten. Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren. Es galt, die Grenzen des Sagbaren – oder Unsagbaren – immer weiter hinauszutreiben, in Regionen, in denen ihre Sprache…

Nachbarn

  Florin hat sich völlig zurückgezogen. Er will in Ruhe seine Dissertation über die so genannte Rote Armee Fraktion zu Ende bringen. Die Gliederung über den Deutschen Herbst ist stimmig. Die Sekundärliteratur komplett. Seine Notizen hat er bereits vollständig geordnet.…

Dies ist kein Wiegenlied

Über das Schaukeln: Collagierter Wach-Traum und Fremd-Sein in eigenen Bildern bei Herta Müller Immer dieselbe Frage sickert tröpfchenweise in mein Denken, wenn ich versuche, Herta Müller zu lesen: Wo fange ich diesmal an und wo ende ich? ‒ Diese Frage…

Des Künstlers Seele

An Vernissagen von Galerien würde man ihm mit grosser Wahrscheinlichkeit begegnen, denn gewissermassen ist es seine Pflicht, an solcherlei Anlässen zu erscheinen. Diese Feierlichkeiten – eher von politischer und banaler denn ästhetisch-philosophischer Natur. Er ist also zugegen, hat seine Atelierumgebung…

DER PASSANT

  ich habe eine bekannte besucht und fahre mit der straßenbahn zur arbeit durch jene straße, die ich sonst zeitgleich als fußgänger durchquere. ich stehe in der bahn am fenster und halte ausschau, ob ich mich draußen entlanggehen sehe. doch…

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  die Gefühle verschnörkelt eine Zungenprothese angelegt Protest mit Zähnen: gegen Rechts sich das Weiß ausbeißen bis es zu Schnee wird: wenn     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich…

Erinnerung an den Tag des Mauerbaus

Hier ist er also, der große Zeitroman für Marcel-Reich-Ranicki. Wend Kässens, NDR 3, Literatur vor Mitternacht Am 13. August unterbrachen die Bauarbeiter ihre Arbeit am Wohnungsbau und arbeiteten andere Statikpläne aus. Der SED-Parteichef wollte stets das Beste: Für die Partei,…

Unter Strom im Frühlicht

Das Grundrissbild aus der Orientierung gerissen, mit dem Wind in die Wüste. Ohne Halt das Gedächtnis, wenn die Transportkraft des Windes nachlässt. Ablagerung sein. Über Abgelagertem.   Die Berliner Oberbaumbrücke in Kreuzberg war in den 70er und 80er Jahren mein…

Gezeitengespräch 8

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitnah (hier und dort): Es ist Frühling, ich weiß wohl, da kochen die Säfte wieder langsam auf. Da wäre das…

untiefen

  blieb wohl oder übel im gedankentreibsand stecken zwischen staubsauger und biotonne erschlägt eine zeitungszeile das nichts zum nächsten überlebenstraining warten hinter verregnetem fensterglas grau-schwarz lindengerippe auf den anflug flüchtender krähen des nachbars satellitenschüssel saugt bewegte bilder aus südost und…

Die Wirklichkeit und die Ewigkeit

Ein dialogischer Essay Aquin Kohl war ein vertrockneter Hegelianer, der sich immer mal wieder in die Einsiedelei ver­kroch und dann alles und jeden negierte. Aber auch als Hegelianer braucht man mitunter einige so­ziale Kontakte, um überleben zu können, zumal wenn…

Auf und unter Dach (Teil 2)

  Als durchaus frugal konnte dieses unerwartete Frühstück beschrieben werden. Herrlich diese frischen Brötchen und der einzeln aufgebrühte Kaffee. Die modernen Maschinen haben es für sich, das italienische Espressoungetüm nachzuahmen. Zwar sind sie nicht mehr so riesig und machen längst…

Über das Marionettentheater

  Als ich den Winter 1801 in M… zubrachte, traf ich daselbst eines Abends, in einem öffentlichen Garten, den Herrn C. an, der seit kurzem, in dieser Stadt, als erster Tänzer der Oper, angestellt war, und bei dem Publiko außerordentliches…

DER STAAT UND DIE KUNST

Aus dem vorwort zu den „richtlinien für ein kunstamt“ Der staat hat sich zu entscheiden, ob er den künstlern helfen will oder der kunst. In der monarchie war der herrscher der schutzherr der kunst. In der republik ist es das…

Auf und unter Dach (Teil 1)

  Der Nebel lag noch in den Feldern, die meisten Menschen schliefen an diesem Samstagmorgen noch, als sich Herr Nipp aufmachte, die große Stadt in allernächster Nachbarschaft zu erkunden. Aus der Ferne betrachtet, hat diese Ansammlung an meist doch recht…

Leichenreden

Versehn is ooch verspielt! Berliner Redensart »Mensch«, sagt der Berliener, wenn er beim Skat sitzt und der Gegner klaubt ihm gar zu genau auseinander, wie er hätte spielen sollen und wie er nicht hätte spielen sollen, »nu halt dir nich…

Von der Mäßigung

  Gleichsam als ob unsere Berührung etwas Ansteckendes hätte, verderben wir durch unser Behandeln solche Dinge, die an und für sich selbst schön und gut sind. Wir können die Tugend auf eine Art ergreifen, daß sie dadurch fehlerhaft wird; wenn…

Marias

  habe sie nicht gewusst wohin mit ihrer verzweiflung oder das ist zumindest die stimme die übrig blieb/ den mundtod weitergeben an das was aus der gebärmutter raus/ und ihr in eine welt geflutscht in der sie kein stimmrecht gehabt…

Der Faden im Kopf

  Irgendwann, ganz für mich war das, überkam mich der Gedanke, was wenn doch. Was, wenn all die Ideen, die in meiner Inspirations-Box liegen, doch eines Tages verwirklicht werden? Was, wenn ich die Schachtel einmal ganz bewusst öffne und alles…

DIE REISE NACH PHILIPPI

  ich fahre nach philippi, usa, wo eine freundin eine gotische kirche erbauen soll, weil die amerikaner so etwas nicht haben und den kinderkreuzzug nach jerusalem inszenieren wollen. ich wurde beauftragt, die dramaturgen zum satanskult zu beraten, und nahm diesen…

Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze

  Eine Schrift, der ein derartiger Titel vorgedruckt ist, setzt damit ihren Inhalt sofort zwei Deutungen aus. Entweder, sagt man sich, sieht der Verfasser das Problem, das seiner Arbeit als Object dient, bereits für gelöst an und beschränkt sich nun…

Poetische Feldforschung

Dichter werden verstanden, indem sie gelesen werden. Und so gilt es denn, die Schriften zu studieren und zu drehen und zu wenden, bis uns ihre Bedeutung allmählich transparent wird. Holger Benkels utopische und apokalyptische Gedanken – beides scheint zusammenzugehören –…

Vorher!

  Bei Albert Langen ist im Jahre 1910 ein Buch erschienen, das bereits hundertmal vorher geschrieben worden ist und noch Hunderte von Malen nachher geschrieben werden wird. Es heißt ›Hinter Schloß und Riegel‹ und schildert mit unerbittlicher Genauigkeit die deutsche…

Himalajafinsternis

  Das ist der Fluch und zugleich die Wollust des Reisens, daß es dir Orte, die dir vorher in der Unendlichkeit und in der Unerreichbarkeit lagen, endlich und erreichbar macht. Diese Endlichkeit und Erreichbarkeit zieht dir aber geistige Grenzen, die…

Courage

  Da stand er also vor dem Spiegel und sah in dieses Gesicht, das ihm immer schon fremd gewesen war. So, als habe irgendwann irgendjemand irgendwie dieses Etwas ihm aufgepflanzt. Warum hast du dieses Gesicht und warum passt es so…

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  Paradiesapfel der Sonne wie schön doch FORM follows FUNCTION radier die Träume aus: Radioaktivität     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach,…

Sartres heroischer Nihilismus

Vielleicht das Schönste, das Sartre geschrieben hat, ist das Textbuch zu dem Film „Les jeux sont faits“ (1947; als Theaterstück 1958): Dieses sprachlich einfache Werk ist ein Märchenspiel, in dem durchaus fraglich wird, ob Sartre mit der üblichen Kennzeichnung eines…

Ein Arbeiterkinderheim

  Man steigt von Elgersburg eine kleine halbe Stunde hinauf, den Blick ständig über den herrlichen Waldeshöhen, die, Goethes Spazierwege, nach Ilmenau und weiter führen. Dort, mitten im Thüringer Wald, liegen die beiden hübschen Häuser des Kinderheims Mopr. Dort, in…