Morbus Heimat

 

Urs Böke schreibt seit Jahrzehnten Gedichte, Gedichte und immer wieder Gedichte. Ob zwischen Job und Wohnung, oder im Übergang von der Nacht zum Tag, stets fokussiert er Eindrücke, presst sie aus und serviert dieses:

Ein Raum voller Menschen

und dann noch bei Tage

das ist dein größter Alptraum

Ein Leben ohne Ehrgeiz

und immer nur Nacht

das ist dein bester Moment.

Der 1975 in Essen geborene Autor ist längst ein Poet der Nacht, einer von der schlimmen Sorte, der, ohne was rein zu tun, den leeren Kühlschrank wahrnimmt und den leeren Briefkasten ignoriert, weil eh keiner kommt und was bringt. Pragmatische Poeten sind gefährlich – bzw. unlesbar für die Mehrheit – , sie beurteilen ihr Denken vom Standpunkt des praktischen Nutzens, sie denken und haben vorher etwas gedacht. Von nichts anderem sprechen Bökes Gedichte. Er bleibt seinen Themen treu: Alkohol, Drogen, Gewalt, Leere und Liebe. Darüber könnte man Romane verfassen, doch er packt die Quintessenz in wenige Zeilen.

Cash ist heute nicht im Flow

das Koks hat schlechte Qualität

gestreckt wie

junge Nutten …

Morbus Heimat ist ein schmales dünnes Heft,dieses Jahr bei Rodneys Underground Press erschienen. Vier der insgesamt 30 Gedichte wurden in einer Collage zusammengestellt – ähnlich wie Erpresserbriefe. Dank seines beständigen Stils kann man davon ausgehen, dass er selbst nach einem Lottogewinn keine Schönfärberei betreiben wird. Bis dahin kümmert sich Urs Böke um „Ratriot“ und „Maulhure“, zwei Lit-Zeitschriften, die er herausgibt. (Maulhure mit Götterwind und Borgerding.)

Morbus Heimat ist morbid, die Gedichte zeigen den im Verfall begriffenen moralischen Zustand unserer Welt, doch im Erkennen liegt die Chance. Ob man dann wegguckt, ist wieder eine andere Sache.

 

***

Das Werk kostet 5 Euro. Seitenzahlen sind nutzlos. (Das steht da am Ende.)

Photo: Roberto Tarallo

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.

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