Vertrauen

 

Bevor er gegangen war, hatten Herr Nipp und sein Freund noch über unbedingtes Vertrauen gesprochen. Die Frage, wem man alles anvertrauen würde, wenn einmal das Jahr käme, in welchem er weggehen würde. Beiden waren nicht viele eingefallen, auf jeden Fall die Geschwister. Einige Freunde vielleicht noch, vielleicht ein oder zwei. Sie hatten ihren Gedanken freien Lauf gelassen, waren zu der berühmten Liste gekommen, die vierzig verschiedene Berufe aufzählt. Dort hatten die meisten Menschen bei fünf Wahlmöglichkeiten für Vertrauensberufe am seltensten für den des Bankers gestimmt. Wieso eigentlich? Nur weil es Bankern ganz ehrlich nur um eines geht, was alle anderen irgendwie mit oberflächlichen Makeups zu verschleiern versuchen. Um Geld.

Offensichtlich geht es weder Apothekern noch Ärzten, weder Lehrern noch Architekten darum. Wieso denn auch, sie leben ja von Gesprächen, Untersuchungen, Entwürfen und Luft allein. Und den vielen Dankeschöns. Von den freundlich aufgesetzten Mienen, den Rollenmasken. So leben Polizisten und Soldaten einzig vom Tragen einer Uniform, Politessen und Politessern können sich von den vielen bösen Blicken ernähren, die ihnen entgegenschlagen, wenn sie mal wieder ein Zettelchen hinter die Scheibenwischer der Windschutzscheibe heften. Priester ernähren sich dagegen von Messwein und Hostien, von den vielen Wörtern, die sie von der Kanzel auf das Volk herab rieseln lassen, so auch die Politiker. Schmieden reicht die Kohlenschlacke, die nach getaner Arbeit in der Esse bleibt, von den schmutzigen Händen. Musiker, Künstler und Schauspieler macht der Applaus fett. Die Fließbandarbeiter dieser Republik haben schließlich ihren ausgehandelten Tarif. All das hat nichts mit Geld zu tun. Wovon leben die Männer der Müllabfuhr? Herr Nipp und sein Freund hatten erst nur grinsen müssen, mit der Zeit, als die Beispiele immer abwegiger wurden, dann herzlich laut gelacht. Man denke an die Betreiber von Kläranlagen, an Stahlarbeiter, Pornodarsteller, Softwareentwickler. Irgendwann kam es zur Idee des Freundes, dass man das größte Vertrauen doch eigentlich den Vertretern entgegenbringen müsste, die hätten schließlich immer Geschenke dabei und wollten nur etwas loswerden. Ja, Menschen, um das Wohlergehen der anderen besorgt. Herr Nipp hatte daraufhin gemeint, auch er vertraue bestimmten Personen genauso. Seine Gedanken begannen zu kreisen und er konnte sich Zeit um Zeit ein gekräuseltes Schmunzeln nicht verkneifen. Der Nachhauseweg war zu Fuß geschehen. Im Vertrauen darauf, dass er nicht zu lang werden würde. Bestimmte Wege müssen allein gegangen werden. 

 

***

Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019

Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.