Das schnelle Altern der neuen Medien

 

Etwas amüsiert verfolgt die KUNO-Redaktion den schnell verströmten Medienhype um den neuen Roman von Dave Eggers. Sogar die ZEIT (sonst bei jeder neuen Welle als No. 2 zur Stelle): Fünf Kritiker und Kritikerinnen beantworteten Fragen zu Dave Eggers‘ neuem Roman Der Circle, der sich gewollt kritisch mit der Transparenz- und Informationsgesellschaft befaßt. Im Freitag porträtiert Jan Pfaff Eggers als „eine Art kalifornischer Heinrich Böll“. Richard Kämmerlings erklärt in der Welt die wichtigsten Stichpunkte zum Roman. Die FAZ widmete dem Autor mit einer Rezension durch Andreas Platthaus und einem von Volker Weidermann verfaßten Porträt des Autors eine ganze Seite. Aufrüttelnd, aber plakativ findet Jörg Häntzschel den dystopischen Roman, es ist ein „motivischer Overkill“, der den Rezensenten nicht überzeugt.

Alles was passiert, muss bekannt sein.

lautet eine in die Steinfliesen geritzte Inspirationsbotschaft auf dem fiktiven Pendant des Google-Campus in Eggers’ Roman Der Circle. Darin geht es um Zahlungssysteme, Passwörter, E-Mail-Konten und Benutzernamen von Social-Media- Nutzern. Im Mittelpunkt steht die 24-jährige Mae Holland, sie hat einen Job beim Internetkonzern Circle, bekommen. Oberstes Ziel der Circle-Ideologie ist die totale Information, euphemistisch als Wissen bezeichnet, um die Welt sicherer, effizienter und moralischer zu machen. Wie relevant diese Information sind, interessiert dabei kaum jemanden. Eggers’ Kolportage über gesellschaftliche, persönliche und politische Auswirkungen des Internets ist benso verstörend wie amüsant, denn allzuviele der beschriebenen Kommunikations- und Verhaltensmuster kommen einem aus den sogenannten sozialen Medien vertraut vor. Eine Zeitgeistdiagnose, literarisch dürftig.

Nach reiflicher Überlegung teilt KUNO nach der Lektüre die harsche Einschätzung des taz-Kritikers Dirk Knipphals „Was vollmundig als großer Roman über die Gefahren und Risiken der heutigen Transparenz- und Digitalgesellschaft lanciert wird, entpuppt sich für den Geschmack des Kritikers am Ende doch als reichlich flache Angelegenheit von zudem noch äußerst mäßigem literarischen Wert: Dieses Buch ist „unglaublich schlecht und klischeehaft geschrieben“. Das macht Knipphalsnicht nur an den vielen naheliegenden Bildern, den uninteressanten Figuren und der mäßigen Dramaturgie fest, sondern vor allem auch daran, dass die vermeintlich weise Erkenntnis des Romans, dass die neu IT-Welt nicht nur flache Hierarchien hervorbringt, sondern auch eine neue Kontrollgesellschaft etabliert, nicht nur plump im Dialog ausgeplaudert wird, sondern auch jedem wachen Leser schon vor der Lektüre dieses Romans bekannt war. Auch ärgert sich der Kritiker darüber, wie wenig die im Roman erzählte Welt doch dem Vergleich mit der Wirklichkeit standhält: Statt die kleinen, viel interessanteren Mikrogeschichten zu erzählen, die der neue digitale Alltag mit sich bringt, verhebt sich der Autor zur großen „Verhängnisgeschichte“, in der lauter naive Menschen die immer neuen Zumutungen einfach nur bejubeln. Nein, schließt Knipphals seine Besprechung: Der erhoffte Roman zur Debatte ist „Der Circle“ ganz und gar nicht geworden – höchstens eine leidlich gute Erinnerung daran, zwischen Arbeit und Lebensqualität eine ausgewogene Balance zu halten.

Was die meisten Kritiker übersehen, eine literarische Überformung der realen Virtualität gibt es bereits seit 2012, der Titel lautet Cyberspasz, a real virtuality. Mit den Novellen setzt A.J. Weigoni die im Band Zombies begonnenen Erforschungen der Trivialmythen fort. Definierte dieser Romancier mit den Vignetten die Literaturgattung Novelle neu und analysierte zugleich mit diesem Instrumentarium den Somnambulismus der Welt, so oszillieren seine neuen Novellen zwischen dem mokanten Blick einer zuweilen herzlich boshaften Zeitgenossenschaft und der Ekstase einer ins Innere der Erscheinungen zielenden Sehnsucht, zwischen den Wonnen der Gewöhnlichkeit und ihrer argwöhnischen Begutachtung. Der ‚virtual reality’ zieht Weigoni in den Novellen Cyberspasz die reale Virtualität der Poesie vor und plädiert für die Veränderbarkeit der Welt.

 

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Der Circle von Dave Eggers. Kiepenheuer & Witsch, 2014

Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.
Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das La­bor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Vignetten, Novelle von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2009.

Weiterführend →

Eine erste Reaktion kann man auf kukultura-extra nachlesen, zusätzlich kann man einen ausführlichen Essay als E-Book auf Bookrix herunterladen. Ein nicht minder lesenswerter Essay findet sich auf fixpoetry. Eine Leseprobe findet sich hier und Probehören kann man eine Rezitation von A.J. Weigoni auf MetaPhon die durch Tom Täger vertont wurde. Und inzwischen wurden die Zombies zum Kultschatz erklärt.