Friedrich von Schennis

 

Der Baron ist eine Schöpfung aus Genie; er ist bereitet aus Himmel und Satan, aus Fegefeuernuancen und gottblau. Mein Bruder nannte ihn den Marquis; ich dachte immer, könnte ich den Marquis sehen. Eines Tages sah ich den Marquis in gepuderter Perücke, in blauem Samtrock, die Rokokohände zwischen feinen Spitzen, lustwandeln über die Wege von Sanssouci auf seinem Bild in der Nationalgalerie. So überall im Rahmen atmet er mit seinen Farben vermischt; zwischen ocker und bleu liegt er auf seiner Palette. Und aus den Rosen des Parkes steigt sein Duft und die Stirn des Schlosses bescheint seine Andacht. Friedrich von Schennis ist ein Andächtiger. Noch zwischen losen Frauenlippen und seinem wilden Zynismus lauscht er nach Gott. Sein Zynismus schluchzt. Der Baron ist schön, sein Angesicht ist feierlich, immer liegt ein Schleier auf seiner feinen Haut. Die fältet sich schmerzlich dann, wenn sein Auge die Wirklichkeit erblickt, die Wirklichkeit ohne Zeremonie. Ich wundere mich nicht, daß er den Philister haßt, den Sonntags- und Alltagsphilister; noch eindringlicher aber empfinde ich seine Verachtung gegen den freigewordenen Bürgersohn, den Studenten der Kunst. »Die Kunst kann man nicht erlernen, nicht wahr, Herr Baron, Herr Marquis, König aller Könige?« Ich sitze neben ihm und bin der Prinz von Theben. Und zu seiner Linken versteht ein Arzt des Rausches die unbekümmerten Launen des Barons zu beschwichtigen. Aber der Baron liebt das Gaukelspiel des Herzens. Wir müssen mit ihm Champagner trinken, er will Begleiter zur Vergessenheit haben. Aber ich weiß, der Baron kann nicht vergessen, er kann wohl trunken, doch nicht betrunken werden. Ich vergieße den schäumenden Luxus; der herrliche Mundschenk zersplittert, mich zu ehren, meinen gläsernen Kelch. Das hätte Friedrich der Große auch in seiner Flötenlaune getan; der Baron stammt aus der Zeit der Flötenkonzerte. Er hat kein Alter, er ist wandelbar wie die Zeit, die einmal Lenz und einmal Herbst zum Zeitvertreib ist. Trägt der Marquis nicht seine Perücke wie auf der Schloßlandschaft in der Galerie, so ist sein Haar aschblond, sein Auge ist aus Merveillieuxseide, und seine Hand bewegt sich immer wie zum Holen einer Schönen zum Menuett. Seine Freude und seine Schwermut sind Jünglinge, und darum haßt er den Tod und möchte ihn vergessen im Wein. Sein Esprit erinnert an Voltaire, lauter Blitze, die treffen und Brände werden. Wenn der Mond gegangen ist über den Garten, dann werden wir auch nach Hause gehen, ich will noch über Friedrich von Schennis einen Essay dichten. Seine Bilder sind adlig und blaublütig. Liszt, der Musikpapst, Wagner und der Großherzog von Weimar sind seine stolzesten Werke, und die vielen Liebeslandschaften hängen in Nischen minniglicher Schlösser.

 

 

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Essays von Else Lasker-Schüler. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin. Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin 1920

Weiterführend → Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.