Sattel

Ich halte, ich weiß nicht warum, den Fahrradsattel in der Hand, mitten in der asphaltierten Wüste. Ich setze den Sattel umgekehrt auf den harten Boden. Das Metallrohr, das den Sattel im Rahmen befestigt, sticht mir in die Augen. Jetzt sitzt die ganze Welt auf meinem Sattel, aber wo ist das Rad? Wie will denn da die Welt fahren? Ohne mich geht es nicht. Ich bewege mich langsam, langsamer als jede Zeitlupe! Ich gehe in den Handstand über der Sattelstange. Mir zerfließt der Schädel gegen das sinkende Dasein, wo blaue Flammen mich bedrohen. Ist der Text umgekippt oder stürzt der Himmel ein? Schau ich ins Bild meiner gefrorenen Zeit? Ist das die tötendste Landschaft der lebendigen Toten? Wo ist die Schere, in die ich hinein schreite? Stürze ich ab? Falle ich aus dem Bild in die Freiheit der Leere, die noch nicht Bild sein muss, oder kippt hier alles um, wenn der Autor abstürzt? Wer spricht alle diese verkehrten Wörter? Wo ist der Autor? Ich drehe den Kopf nach links nach rechts und sehe den grauen Himmel unter mir. Hier collagiert sich das Nichts. Ich betrüge mich und rede mir mein Sein ein, aber zum Ende hin wird es immer schwerer. Hirnkörper ich. Mein Fleisch denkt. Denken wird dann wieder Körper. Bedeckt nur Haut noch meine Knochen, wird der Körper zum Skelett. Ich bin ganz ausgebrannt und taumle immer noch ins Licht. Ich habe mich erjagt und trage meine Haut am Gürtel. Ich will mir ein Nest graben für das Augenlicht. Da lasse ich mich fallen und stürze, nicht mit der Stirn, in das messerscharfe Rohr. Das knirscht. Ich höre, wie der Stahl ins Hirn schneidet, wie die Stange auf Wirbel stößt. Jetzt kann die Welt laufen! Die Füße ragen in den Himmel, aber meine Beine stehen still. Ich stecke oben und unten fest. Ich bin kein Rad. Ich laufe nicht. Ich will mich abstoßen da oben, aber ich kann die Knie nicht bewegen, so steif bin ich nun. Ich friere nicht. Den Mund weit aufgerissen, starre ich ins Leere und stehe lange so in der Luft, so lange, bis das Bild wieder geht.

 

 

 

Ulrich Bergmann

Weiterführend →

Ulrich Bergmann nennt seine Kurztexte ironisch „gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs“. Wir präsentieren auf KUNO eine lose Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente. Lesen Sie zu seinen Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel. Eine Einführung in seine Schlangegeschichten finden Sie hier.