Keilschriftzylinder

 

Auf braunen Tonzylindern winden sich die Zeilen
Weiser Schrift, im Feuer erprobt, im Ofen gebacken;
In Spiralen ein Gedränge von Keilen,
Die wie Schnäbel nach dem Weltsinn hacken.

Am Ende winden sie sich in das Leere
Auf unsichtbaren Wendeltreppen weiter.
Aus Tiefer und Höher trifft an jeder Kehre
Ein Reim sich auf der schiefen Himmelsleiter.

Das Berghorn schreibt sich ein aus Nebelbrauen,
Der Wildgansflug klatscht an mit offnen Fächern,
Und in die letzten Riesenreihen tauen
Die Demantkeile von den Himmelsdächern. –

Vergessen der Segen, den unten die Zeichen erbaten, –
Der Schatten der Bäume zog viele Zirkel im Rasen.
Vergessen der Zauber, den die Zylinder geraten,
Das Heilkraut – Pulver in Apothekervasen

Verfallen der Ofen, seine Ziegel zerbrochen,
Längst verzogen der Qualm seiner Scheiter.
Verwest die Schreiber, zerstaubt ihre Knochen –
Von selbst dichtet die Welt sich weiter.

 

 

 

 

Oskar Loerke gehört zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Seine Gedichte werden in Anthologien unter den Stichworten Expressionismus, Naturdichtung oder Innere Emigration abgedruckt. Doch wird diese Reduktion der thematischen Vielfalt und dem Formenreichtum seiner Dichtung nicht gerecht, die weite geschichtliche, mythologische und geographische Räume umgreift. Ihr grundsätzliches Einverständnis mit der Welt erfährt in der NS-Zeit einen tiefen Riss, der auch durch offen eingestandene Wut und Verzweiflung am Weltzustand nicht mehr zu heilen ist.

Für Paul Celan war Loerkes ‚Pansmusik‚ das schönste Gedicht in deutscher Sprache.

Weiterführend  Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.