Zufällige Gedankenschnipsel

 

Während überall auf dieser schönen Welt die Menschen aneinandergeraten, hier ist die unangenehme Form gemeint, wenn schon nicht mit Keulen oder Messern, dann zumindest in Verbalattacken, soll es durchaus schon einmal vorkommen, dass einige sich unterhalten, dabei zwischen vermeintlicher Tiefe und Seichtigkeit hin und her lavieren, vor allem aber ihre Freude am Gespräch haben. Dann wogt dieses Sprechen als frisches Gerstenfeld im Wind. Eine Farbe, die nicht festmacht, sondern alle Werte zwischen dem Silbergrau und Hellgrün, zwischen blau und dunkelviolett in sich trägt.

Herr Nipp saß ganz unbedarft an seinem Tisch, aß einen Apfel. Leicht säuerlich, wirkte dieser erfrischend. Vor ihm stand eine der Kaffeetassen, die eigentlich jemand anderer bestellt hatte und nun übrig geblieben an ihn gereicht worden war.

Die Menschen kommen und gehen – und manchmal merken sie noch nicht einmal, dass sie daran beteiligt sind. Am Nachbartisch einige Jugendliche versammelt, durchaus wohl erzogen, mit ange- nehmem Benehmen und zuweilen gehobener Artikulation. Eigent- lich hatte Herr Nipp gar kein Interesse an solchen Gesprächen, dieses aber forderte seine Aufmerksamkeit, leider konnte er nicht alles verstehen:

„Wie funktioniert Leben? Welche Rahmenbedingungen sind ge- geben? Wo zeigt sich Potential zu Konflikten?“ mit deutlicher Gebärde wurde die Wichtigkeit dieser Worte untermalt.

„Angst zählt auf jeden Fall zu den Grundvoraussetzungen von bewusstem Leben.“

„Wie auch immer, Reflexion ist Mittel zum Zweck…“ „…kritische Betrachtung des eigenen Handelns.“ „Vier wissen immer mehr als einer.“
„Welche Funktion hat das Wort >so<?“.

An dieser Stelle ebbte das Gespräch zu einem unverständlichen Gemurmel ab und wurde für die Ohren des Herrn Nipp völlig unverständlich, um kurz darauf wieder anzuschwellen.

„…wir sind in Teile zerbrochen, leben in ständiger Bedrohung – und setzen die Körperlichkeit und gespielte Kindlichkeit ein, um Eindruck zu hinterlassen und den anderen zu beeindrucken.“

„Zu beeinflussen, zu beeinflussen.“

„Eine Synchronität der Körper, der Bewegungen und gegensei- tiges Umschmeicheln. Macht und Sexualität als präsenter Ausdruck des und im Jetzt.“

Die Stimme des letzten Sprechers hatte sich erhoben wie ein entfesselter Orkan und war über die Köpfe der anderen hinweg- gefegt, hatte Spuren hinterlassen – betretenes Schweigen, dann Applaus der anderen.

„So ist das gut und leg hinten noch etwas mehr Pathos drauf.“ Herr Nipp hatte unwissentlich einer Theaterprobe beigewohnt.

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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421