Integration light, bitte!

„Und? Wie heißt das Zauberwort?“

„Bitte!“ sagt lächelnd das brave deutsche Kind. “Integration!“ meint der Migrationsexperte in sozialen Diensten deutscher Kommunalverwaltungen. Und die figurbewusste junge Dame der Spaßgesellschaft bestellt lächelnd: „Cola, aber bitte light!“

Schreibwillige wie ich, die über Menschen berichten, haben ihre Zeitgenossen im Blick – in Bus und Bahn, im Büro und in Fußgängerzonen, auf Steh- und Sitzplätzen, in Bürger- und Ausländerzentren, Restaurants, auf Spaß-Partys und Pflichtveranstaltungen. Und light sind sie, irgendwie light und bemüht, sich von ihrer allertol(l)erantesten Seite zu zeigen.

Natürlich gibt es Unbelehrbare (deutsche und ausländische), die glauben, Integration sei nicht alles. Wir sind tolerant genug, ihnen den Unglauben zu lassen. Nachhaltig (auch so ein Zauberwort) kämpfen wir dennoch weiter für die Integration und meinen auch Integration und nicht Assimilierung light.

Deutsche haben nichts gegen Ausländer

Integration bedeutet selbstredend nicht nur Anpassung für Nicht-Deutsche, die lebenslänglich Gäste unter Deutschen bleiben wollen. (Richtige Deutsche können sie nun einmal wegen ihrer Herkunft nicht werden.)

Deutsche haben einfach nichts gegen Ausländer. Benehmen müssen die sich natürlich. Ordentlich! Auf Sauberkeit achten und nicht immer so laut brüllen, keine Schutzgelder erpressen, nicht immer gleich das Messer zücken und so …

Wir haben uns ja auch an die türkische, griechische und sogar asiatische Küche gewöhnen müssen. Zugegeben, ausländische Köche würzen ihre Gerichte für uns etwas weniger scharf. Schließlich wollen die damit auch nur Geld verdienen. Integration geht eben nur gegenseitig und nicht allein durch den Magen.

Inzwischen kann selbst ein wahrer Deutscher eine muslimische Nicht-EU-Ausländerin aus dem tiefsten Anatolien heiraten und gilt weiterhin als unbescholten. Ja, es gibt sogar deutsche Ehemänner, die der Liebe wegen die Muttersprache ihrer ausländischen Frau erlernt haben. Manche gar als aussichtslos prognostizierte Mischehe hat erstaunlich lange gehalten. Der deutsche Mann ist eben von Natur aus tol(l)erant und anpassungsfähig. Nicht, dass er gleich Kopftuch tragen würde. Aber wie ist es zu erklären, dass bei uns inzwischen nicht einmal mehr der Bau von Müllverbrennungsanlagen ohne Schmiergeld läuft, wo doch die schwersten Formen der Korruption in Italien, in der Türkei und in Afrika zu Hause sind. Integration ist eben ein gegenseitiger Prozess. Erst wenn beide Seiten von einander lernen, gelingt sie. Allerdings, so schwarz wie in Afrika müssen wir da noch nicht sehen.

Deutsche bevorzugen Korruption light, leichtgewürzt wie einheimisch-ausländische Küche.

Ehrliche Politiker geben zu, dass sie lügen

Ein kunstinteressierter deutscher Rechtsanwalt, den ich bei der Finissage zur Ausstellung „Zeitzeichen zur Unzeit“ traf, meinte, nachdenklich über sein graues Haupthaar streichend, die ehrlichsten Politiker seien jene, die zugeben zu lügen. Und das tun doch immer mehr deutsche Politiker, wenn sie vor Gericht der Vorteilsnahme überführt sind. Schließlich leben wir in einem Rechtsstaat.

In meiner Stammkneipe höre ich selbst von Leuten mit gehobenem Wortschatz die stets wiederkehrende Floskel: „Wir werden global beschissen!“ Unwahrheit – oder besser Wahrheit light hat eben auch weltweit integrative Wirkung. Wie Karies und Paradentose, denn meine Zahnärztin droht: „Glauben Sie, wenn die Krankenkasse demnächst nicht mehr zahlt, sich noch eine neue Brücke leisten zu können? Zahnlos werden sie rumlaufen, wie die in Afrika und auf dem Balkan!“

Auch Armut wirkt in Zeiten der Globalisierung integrativ. Wir in Deutschland nehmen selbstverständlich lieber reiche Ausländer auf. (Integration light…!)

„Geld verteilen die nur nach oben um! Die Drecksjobs machen Ausländer!“ empört sich Dieter. Er arbeitet im Öffentlichen Dienst, ist für echte Integration und bei „ver.di“ in der Gewerkschaft. Aber, aber! Mussten wir nicht auch klein angefangen – nach dem Krieg? Viele Ausländer kommen nun mal aus Kriegsgebieten.

Ohne erhobenen moralischen Zeigefinger

Und Schriftsteller? Manch mutiger nicht-deutscher saß und sitzt – und das nicht mehr hinter seinem Schreibtisch -, nur weil er die Wahrheit über Korruption in seinem Land schrieb. Da fühlt der deutsche Gedichte- und Geschichtenschreiber natürlich auch einen verschämten Drang, der Wahrheit und Gerechtigkeit zu ihrem Recht zu verhelfen. Allerdings, wer will schon einer dieser unbequemen Rechthaber mit hoch erhobenem moralischem Zeigefinger sein. Wer das nötig hat, macht sich nur verdächtig, davon ablenken zu wollen, ein schlechter Schriftsteller zu sein. Sein Job ist es, gute Geschichten zu erfinden, die es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen. Glaubwürdig müssen sie zwar schon erscheinen. Und spritzig und unterhaltsam ein wenig vom wahren unerträglichen Leben ablenken. Wahrheit und life light, eben!

Und mein wohlsortierter Buchhändler schielt sehnsüchtig zu seinem Regal mit den deutschen Klassikern und dem daneben – dort stehen ausländische Erzähler. „Und was wollen die Leute lesen? Promi-Tratsch zwischen zwei Buchdeckeln auf denen ganz spezielle Wahrheiten angekündigt werden!“ Seufzt und beginnt seine Tageseinnahmen zu überprüfen.

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Lesen Sie auch seine glossierende Anmerkung über Twitteratur:Kurz knackig einfühlsam.