KRASH Verlag, der Name war Programm

1989 war ich Underground. Und das war gut so. Denn wir wollten ums Verrecken nicht so sein wie die anderen – die Bölls, Grass‘, Walsers. Wenn man Trash und Indierock hört, kann man Wasserglaslesungen mit Blumenbouquet weniger goutieren. Literatur und die dazugehörigen Lesungen sollten Punk sein, was natürlich schwierig ist bis unmöglich. Literatur ist ein weit weniger aufreibendes Medium als harte Gitarrenmusik, besonders körperlich – wenngleich sie hier und da schon für rauschhafte Erfahrungen zuständig sein kann, aber die geschehen bekanntlich mehr im Kopf.
 

Der im Dezember 1988 bezeichnenderweise in der Ultimate Akademie gegeründete KRASH-Verlag hat sich noch nie lediglich auf die Herausgabe konventioneller Bücher beschränkt. Das Büchermachen ist Teil eines mehrmedialen Kunstschaffens der von uns gebildeten Kerngruppe KRASH sowie befreundeter Künstler/innen aller Sparten, was sowohl öffentliche Aktionen umfaßt und insbesondere die Disziplinen Literatur, Video, Performance, Bildende Kunst.

Schon 1985 hatten wir mit der Herausgabe der Lit. & Kunstzeitschrift „ZeilenSprung“ (weitgehend unbekannten) Autoren und Künstlern eine Spielwiese für die interdisziplinäre Vermischung der Sparten installiert. Diese fand in den zum Erscheinen der einzelnen Ausgaben veranstalteten Präsentationen ihre analoge Fortsetzung in aktionistischen Live-Umsetzungen. Neben dem für zahlreiche Autoren fremden mixed-media-Prinzip bot „ZeilenSprung“ prinzipiell ein Forum für all das, was in der traditionellen Lit.landschaft aus marktwirtschaftlichen Erwägungen keinen Platz hatte.

Diese Kriterien fanden mit der Gründung des KRASH-Verlags ihre genuine Fortsetzung; die enge Zusammenarbeit mit dem Kölner Kunst-Underground wurde noch mehr forciert. Nach und nach wurde die Zusammenarbeit mit vielen Mitgliedern der Ultimate Akademie und den Künstlern des ultinets und mit diversen Schriftsteller-Generationen und -Szenen intensiviert. Bei der Verlagsgründung ersetzten zunächst Csaba Manfai und Erich Wilker die aus der Kerngruppe des „Zeilensprung“ ausgeschiedenen Jörn Loges (Video, Bühne), Monika Regelin, Anke Stahl und Khalid al-Maaly (heute al-kamel-verlag). Zeitweise eng begleitetet vom Düsseldorfer Autor A.J. Weigoni, mit dem wir die fast schon legendäre Gossenheft-Reihe im KRASH-Verlag begründeten, wechselten die mit KRASH kooperierenden Literaten und Künstler jeweils projektbedingt. Heute noch zählen auf Autorenseite die Berliner Autoren Jörn Luther und Frank Willmann dazu. Kooperationen mit weiteren, der Independent-Szene zugehörigen Verlagen bestehen mit Basisdruck/Berlin, PIPS/Bonn, Das fröhliche Wohnzimmer/Wien etc.

Die schon erwähnte Gossenheft-Reihe ist auf literarischer Seite neben der Plakatzeitschrift für Visuelle Literatur, FLYER, sicherlich das Verlags-Aushängeschild. Eingebunden in die Chiffren von Pulp (Fiction) & Pop präsentiert Deutschlands erste Garde von Jungliteraten seit 1989 experimentelle & heftige Lit. im Schundheftformat. Neben der Bedienung klassischer Schund-Genres wie Arzt-, Liebes-, Heimat-, Kriminalroman und einigen Themen-Compilations (Sex, Gewalt von Rechts) bildeten gerade im letzten Jahr Quasi-Dokumentationen lieterarischer Koop-Techniken den vorläufigen Höhepunkt der Reihe: Der triefend triviale „Roman der Sechs“ wurde über einen Zeitraum von 2 Jahren gemeinschaftlich von 5 KRASH-Autoren geschrieben. Schneller waren 4 Autoren aus Köln und Düsseldorf, die an nur 2 Tagen und in 2 Nächten mit Unterstützung des KRASH.-Netzwerkes ( das sich per Fax einschaltete) in 2 Galerien in den 2 Städten den Live-Roman „48 Stunden“ zu Papier brachten.

Neben den Visuellen (Multiple-)Editionen, die in vorliegender Dokumentation an anderen Stellen im Chronik-Teil ausführlich behandelt werden, wollen wir aus der Vielzahl der KRASH-Aktionen 2 hervorheben, die stellvertretend für die Live-Aktivitäten der letzten 12 Jahre stehen, tEXtile tEXte, die erste literarische Modenschau der Welt, basierend auf gleichnamiger Ausstellung von Aring, Ibsch, Pokoyski, Stahl und natürlich „Dichter in den Ring – Die Deutsche Literaturmeisterschaft“, 1993 wohl der erste große und in seiner, dem Sport entliehenen, dramaturgischen Geschlossenheit konsequenteste Slam auf deutschem Boden, der 1995, ebenfalls im Kölner Rhenania, seine Fortsetzung fand und auch 1997 ausgelobt werden wird.

 

 

 

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Little mags. Unabhängige Literaturzeitschriften, von Hadayatullah Hübsch. Autorenhaus-Verlag Manfred Plinke, Berlin 2001.

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.