Dichten

 

Manche Dichter meinen, Dichten schicke sich nur für die Jugend; aber das ist nicht richtig. In dieser hitzigen und erregbaren Periode erhalten wir bloß den Anstoß, der uns auf unserer künftigen Bahn vorwärts treibt; die Ideale enthüllen sich uns, denen wir dann unser ganzes Leben lang nachstreben, ohne sie je zu erreichen. Aber diese bloßen Idealbilder sind, verglichen mit dem beharrlichen Bemühen nach solchem Ziel, von geringer Bedeutung; es ist erfolglos, mit unverwandtem Blick nach einem verheißenen Lande auszuschauen, das uns ein entschlossenes und stetiges Wandern über steile Berge und durch dunkle Täler nicht gleichzeitig näherbringt. In der Jugend, solange wir elastisch sind, erhalten wir den Anstoß auf den richtigen Weg; aber es ist unsinnig, diesen Wert dem der vollbrachten Reise gleichzusetzen, dem Gehorsam, den wir dem ersten Antrieb unser Leben lang unverbrüchlich bewahrten. Herrliche Gegenden bekommen wir zu sehen, damit wir uns verlockt fühlen, dort zu wohnen, nicht, damit wir einfach sagen können: wir haben sie gesehen.

 

 

 

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Henry David Thoreau gilt als Schriftsteller auch in formaler Hinsicht als eine der markantesten Gestalten der klassischen amerikanischen Literatur. Eine Einführung in Leben und Werk von Gerhard Gutherz findet sich hier. Als sorgfältig feilender Stilist, als hervorragender Sprachkünstler hat er durch die für ihn charakteristische Essayform auf Generationen von Schriftstellern anregend gewirkt. Wir begreifen die Gattung des Essays auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen.

Weiterführend Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.